Professor Dr. Martin Schwab
Eine Unternehmenspleite, die keine war – mit fatalen Folgen
LG Verden, Urteil vom 16.6.2014 – 10 O 100/09
OLG Celle, Beschlüsse vom 8.12.2014 und vom 27.1.2015 – 9 U 97/14
BGH, Beschluß vom 16.2.2016 – II ZR 64/15
Ein mittelständisches Unternehmen geht – scheinbar – pleite. Der Insolvenzverwalter wirft dem Geschäftsführer vor, Zahlungen veranlaßt zu haben, die er nicht hätte veranlassen dürfen. Der Geschäftsführer wehrt sich und legt Beweise vor, die dringend nahelegen, daß an den Vorwürfen nichts dran ist. Aber das Gericht interessiert sich für diese Beweise nicht. Der Geschäftsführer verliert schließlich den Prozeß und wird dadurch in den persönlichen Ruin getrieben.
Was ist passiert? Wir haben es mit einem ausgesprochen komplexen Sachverhalt zu tun. Der Fall kreist um ein mittelständisches Fensterbau-Unternehmen in der Rechtsform der GmbH & Co. KG (im folgenden der Einfachheit halber „das Fensterbau-Unternehmen“ genannt).
I. Ausgangslage
Der Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit war Minderheitsgesellschafter und Geschäftsführer des Fensterbau-Unternehmens[1]. Neben dem Beklagten existierte ein Mehrheitsgesellschafter, der ebenfalls als Geschäftsführer tätig war. Über das Vermögen des Fensterbau-Unternehmens wurde am 1.9.2008 auf Antrag von 21 Arbeitnehmern (Zeitpunkt des Antrags: 14.8.2008) und auf Antrag des Fensterbau-Unternehmens selbst (Zeitpunkt des Antrags: 19.8.2008) das Insolvenzverfahren eröffnet. Kläger im vorliegenden Rechtsstreit ist der Insolvenzverwalter. Gegenstand des Rechtsstreits ist – ganz grob gesprochen – die Frage, ob der Beklagte Gelder aus der Kasse des Fensterbau-Unternehmens, die er als Geschäftsführer ausgegeben hat, zu Unrecht ausgegeben hat und daher ersetzen muß. Der Kläger behauptete eben dies: Der Beklagte habe teils in die eigene Tasche gewirtschaftet und teils im Angesicht der bevorstehenden Pleite einzelne Gläubiger bevorzugt, anstatt das Vermögen des Fensterbau-Unternehmens zusammenzuhalten. Der Beklagte wies diese Vorwürfe entschieden zurück.
Die Darstellung des Sachverhalts erweist sich deshalb als besonders schwierig, weil wesentliche Fakten, die für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung waren, bis zum Schluß streitig geblieben sind: Durchweg trug der Kläger eine andere Version des Sachverhalts vor als der Beklagte. Im folgenden werden daher beide Versionen einander gegenübergestellt. Aus der Vielzahl von Einzelpositionen, um die sich der Prozeß rankte, werden im folgenden nur diejenigen herausgegriffen, bei denen das Gericht zu der Auffassung gelangte, der Beklagte müsse die entsprechenden Zahlungen erstatten. Im Kern geht es um die folgenden Vorwürfe:
- Der Beklagte habe private Rechnungen aus der Kasse des Fensterbau-Unternehmens bezahlt (dazu sogleich unter II.).
- Der Beklagte habe Geld ausgegeben, um Schulden des Fensterbau-Unternehmens zu bezahlen, obwohl das Fensterbau-Unternehmen bereits insolvenzreif (auf gut deutsch: pleite und dem Untergang geweiht) gewesen sei. Aus Mitteln des Fensterbau-Unternehmens hätten daher keine Schulden mehr bezahlt werden dürfen. Denn jeder Betrag, der an eineneinzelnen Gläubiger bezahlt worden sei, müsse sich zwangsläufig zum Nachteil anderer Gläubiger auswirken: An diese gebe es dann weniger zu verteilen (dazu sogleich unter III.).
- Der Beklagte habe Vorschüsse auf Reisekosten kassiert und nicht ordnungsgemäß darüber abgerechnet (dazu sogleich unter IV.).
II. Der erste Vorwurf: Private Rechnungen auf Unternehmenskosten bezahlt?
Der Kläger warf dem Beklagten vor, aus dem Vermögen des Unternehmens Rechnungen bezahlt zu haben, die in Wirklichkeit seinen privaten Zwecken dienten.
1. Bei einer dieser Rechnungen ging es um fünf Nachschlüssel für ein privates Wohnhaus. Der Kläger behauptete zunächst, es handle sich um das Wohnhaus des Beklagten. Der Beklagte erwiderte, es handele sich in Wirklichkeit um das Wohnhaus einer Tante des Beklagten, die auch die Schlüssel erhalten habe; jene Tante wurde dafür als Zeugin angeboten. Der Kläger behauptete daraufhin, es habe zwischen dem Fensterbau-Unternehmen und jener Tante des Beklagten keine Geschäftsbeziehungen gegeben. Gleichwohl habe der Beklagte die Bezahlung der Rechnung für die Lieferung der Nachschlüssel aus dem Vermögen des Fensterbau-Unternehmens veranlaßt. Diese Behauptung wurde vom Beklagten bestritten.
2. Im Streit war außerdem eine Rechnung einer Gutachterfirma, die im Privathaus des Beklagten Schimmelschäden begutachtete. Der Kläger war auch insoweit der Auffassung, der Beklagte habe private Schulden aus dem Unternehmensvermögen beglichen. Der Beklagte wehrte sich mit folgender Begründung: Er habe bei dem Fensterbau-Unternehmen Hebel-Schiebetüren bestellt; er sei in diesem Fall Kunde seines eigenen Unternehmens gewesen. Das Fensterbau-Unternehmen habe die Schiebetüren geliefert und eingebaut. Die Schiebetüren seien schon in sich mangelhaft gewesen und außerdem fehlerhaft montiert worden. Das Gutachten habe der Feststellung des Mangels gedient. Er, der Beklagte, habe daher gegen das Fensterbau-Unternehmen einen Anspruch auf Ersatz dieser Gutachterkosten gehabt. Daher habe er den Betrag zu Recht aus dem Unternehmensvermögen entnommen. Außerdem sei die Zahlung nicht vom Beklagten veranlaßt worden. Die Zahlung sei vielmehr – ebenso wie die allermeisten Zahlungsvorgänge im Fensterbau-Unternehmen – auf Anordnung des Mehrheitsgesellschafters ausgeführt worden. Schließlich sei die Zahlung an die Gutachterfirma auf dem Privatentnahmekonto des Beklagten gebucht und damit als Gehaltszahlung an den Beklagten transparent gemacht worden.
Die zuletzt genannte Verteidigungslinie des Beklagten bedarf der Erläuterung. Mit dem Hinweis auf das Privatentnahmekonto ist folgendes gemeint: Der Beklagte hatte nachweislich einen Anspruch auf ein Jahresgehalt in Höhe von € 107.000. Nur ein geringer Teil davon wurde aber direkt als Gehalt an ihn ausgezahlt. Deshalb war er – jedenfalls nach seinem eigenen Vortrag – befugt gewesen, die übrigen Beträge aus der Gesellschaftskasse zu entnehmen. Diese Entnahmen wurden zunächst auf ein bestimmtes Konto – eben das Privatentnahmekonto – gebucht und später zu Gehaltszahlungen umgebucht. Der Beklagte trug insoweit vor, daß dieses Vorgehen jahrelang ohne Beanstandungen praktiziert worden sei; er habe also in dem Umfang, in dem ihm sein Gehalt nicht direkt ausgezahlt wurde, in die Kasse des Unternehmens greifen dürfen, solange er dies nur entsprechend transparent machte. Die Verteidigungslinie des Beklagten lautete dann also: Was als Privatentnahme gebucht worden sei, sei mit seinem Gehalt als Geschäftsführer verrechnet worden und habe das Vermögen des Fensterbau-Unternehmens daher nicht belastet.
3. Der Kläger warf dem Beklagten des weiteren vor, aus dem Unternehmensvermögen eine Rechnung einer Handwerksfirma bezahlt zu haben, die vom Beklagten beauftragt worden sei, Bodenbeläge in seinem Privathaus auszubessern. Der Beklagte wehrte sich mit folgender Begründung: Der Parkettboden sei infolge der mangelhaften Fenster beschädigt worden. Das Fensterbau-Unternehmen sei daher verpflichtet gewesen, ihm (dem Beklagten) diesen Schaden zu ersetzen. Außerdem sei die Zahlung durch den Mehrheitsgesellschafter des Unternehmens veranlaßt worden. Schließlich sei die Zahlung an die Gutachterfirma auf dem Privatentnahmekonto des Beklagten gebucht und damit als Gehaltszahlung an den Beklagten transparent gemacht worden.
III. Der zweite Vorwurf: Einzelne Gläubiger zu Unrecht auf Kosten der anderen bevorzugt?
1. Der Kläger warf dem Beklagten zunächst vor, Gelder, die ihm für die Gesellschaft von Dritten überlassen worden waren, nicht an die Gesellschaft weitergeleitet, sondern auf sein Privatkonto umgeleitet zu haben. Die Rede ist von einem Betrag von € 40.000. Die Zahlung dieses Betrages habe das Fensterbau-Unternehmen von einem seiner Kunden zu erwarten gehabt; denn mit diesem Kunden habe das Fensterbau-Unternehmen sich in einem Rechtsstreit auf diesen Betrag verständigt. Der Beklagte wehrte sich mit dem Einwand, er habe einen Teil der besagten € 40.000, nämlich € 13.500, auf zwei Geschäftskonten des Fensterbau-Unternehmens einbezahlt (auf eines dieser Konten € 3.500 und auf ein anderes dieser Konten € 10.000). Den Rest habe er nicht für sich verwendet, sondern Schulden der Gesellschaft bezahlt. Das aber, so wendete der Kläger ein, habe er gar nicht mehr tun dürfen; denn die Gesellschaft sei damals bereits insolvenzreif gewesen.
Der Kläger stützte die Behauptung, das Unternehmen sei bereits insolvenzreif gewesen, auf das Gutachten eines Steuerberaters. Der Beklagte hielt dieses Gutachten für ganz und gar haltlos. Er führte zu seinen Gunsten den Umstand ins Feld, daß auch die Staatsanwaltschaft das Gutachten jenes Steuerberaters zwar zunächst ihren Ermittlungen den Beklagten zugrunde gelegt, später aber eingesehen habe, daß das Gutachten durchgreifenden Einwänden ausgesetzt sei. Der Beklagte meinte weiter, der Gutachter (also besagter Steuerberater) sei nicht neutral, sondern zum Vorteil des Klägers parteiisch gewesen. In Wirklichkeit sei das Fensterbau-Unternehmen nicht pleite, sondern wirtschaftlich nach wie vor lebensfähig gewesen. Der Kläger habe pauschal einen bestimmten Schuldenstand des Fensterbau-Unternehmens behauptet. Er habe dabei aber nicht einmal aufgeschlüsselt, welche einzelne Verbindlichkeit des Unternehmens wann fällig geworden sei. Schon gar nicht habe der Kläger berücksichtigt, daß das Fensterbau-Unternehmen sich in Sanierungsverhandlungen befunden habe. Im Zuge dieser Verhandlungen hätten sich viele Gläubiger bereit gefunden, ihre Forderungen vorläufig zu stunden. Insbesondere habe das Finanzamt die Umsatzsteuer gestundet, die es seiner Meinung nach vom Fensterbau-Unternehmen zu beanspruchen hatte und die das Fensterbau-Unternehmen noch nicht bezahlt hatte. Die Sanierungsverhandlungen seien erst gescheitert, als einige Mitarbeiter des Fensterbau-Unternehmens am 14.8.2008 Insolvenzantrag gestellt hätten. Schließlich habe das Fensterbau-Unternehmen sogar davon profitiert, daß der Beklagte das Geld verwendet habe, um Schulden der Gesellschaft zu begleichen. Denn die Gläubiger, deren Forderungen er beglichen habe, hätten Leistungen erbracht, die das Fensterbau-Unternehmen benötigt habe, um lukrative Aufträge abzuarbeiten. Und besagte Gläubiger seien nur gegen Vorkasse bereit gewesen, jene Leistungen (es ging um Holz- und Benzinlieferungen) überhaupt zu erbringen. Die Einnahmen, die das Fensterbau-Unternehmen aus eben diesen Aufträgen erzielt habe, seien weitaus höher gewesen als der Betrag, den der Beklagte eingesetzt habe, um besagte Gläubiger zu bedienen.
2. Die Frage nach der Insolvenzreife des Fensterbau-Unternehmens spielte auch bei weiteren Positionen eine Rolle. Der Kläger warf nämlich dem Beklagten außerdem vor, vor Insolvenzantragstellung mehrere Beträge bar vom Konto des Fensterbau-Unternehmens abgehoben zu haben, und zwar in Kenntnis des Umstands, daß dadurch andere Gläubiger des Fensterbau-Unternehmens benachteiligt würden. Diese Barabhebungen focht der Kläger daher an – was soviel heißt wie: Der Kläger erklärte, daß er die Barabhebung nicht akzeptiere und daß das abgehobene Geld an das Fensterbau-Unternehmen zurückzuzahlen sei. Im einzelnen geht es um Abhebungen von € 2.000, von € 504,98, von € 8.000 und von € 38.000. Der Beklagte wandte ein, die ersten beiden Positionen hätten ihm als Gehaltszahlung zugestanden; die dritte Position sei nie in sein Vermögen geflossen; die vierte Position habe der Rückzahlung eines Darlehens gedient, das der Onkel des Beklagten dem Fensterbau-Unternehmen zuvor gewährt habe. Der Beklagte stellte sich hier vor allem auf den Standpunkt, daß das Fensterbau-Unternehmen in Wirklichkeit wirtschaftlich lebensfähig und gerade nicht insolvenzreif gewesen sei. Deshalb habe er sowohl sich selbst Gehalt auszahlen als auch das Darlehen seines Onkels bedienen dürfen.
3. Der Kläger warf dem Beklagten des weiteren vor, noch nach Insolvenzantragstellung € 48.000 bar abgehoben zu haben. Der Beklagte wandte ein, auch diese Zahlung habe der Rückführung jenes Darlehens gedient, das sein Onkel an die Gesellschaft ausgereicht habe. Der Kläger meinte, diese Zahlung habe ebenfalls nicht mehr veranlaßt werden dürfen, weil dadurch die anderen Gläubiger des Fensterbau-Unternehmens benachteiligt worden seien. Dem trat der Beklagte abermals mit dem Einwand entgegen, das Fensterbau-Unternehmen sei wirtschaftlich lebensfähig gewesen. Außerdem sei sein Onkel mittlerweile verstorben. Als sein Onkel noch gelebt habe, habe der Kläger diese Zahlung angefochten und ihn auf Rückzahlung der € 48.000 verklagt. Während des Prozesses sei der Onkel des Beklagten verstorben und vom Beklagten beerbt worden. Der Beklagte sei als Erbe seines Onkels verurteilt worden (nämlich unter dem Gesichtspunkt der §§ 131, 143 InsO; siehe dazu noch unten), jene € 48.000 in das Vermögen des Fensterbau-Unternehmens (was nunmehr bedeutet: in die Insolvenzmasse) zurückzuzahlen. Dann aber könne dieser Betrag jetzt nicht noch einmal von ihm verlangt werden.
IV. Der dritte Vorwurf: Über Reisekostenvorschüsse nicht ordnungsgemäß abgerechnet?
Der Kläger warf dem Beklagten vor, Vorschußzahlungen für Reisekosten in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Gesellschaft erhalten zu haben, deren zweckentsprechende Verwendung aber nicht belegt zu haben. Der Beklagte erwiderte dazu, über alle Reisekosten habe es Belege gegeben. Diese lägen dem Kläger alle vor.
Wie haben die Gerichte entschieden? Das Landgericht Verden entschied in allen Punkten, die hier aufgelistet sind, zugunsten des Klägers und verurteilte daher den Beklagten, € 157.841,94 an den Kläger (also in die Insolvenzmasse) zu zahlen. Das Oberlandesgericht Celle wies die Berufung des Beklagten zurück und ließ keine Revision zu. Dagegen wandte sich der Beklagte mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof, die jedoch ebenfalls erfolglos blieb.
I. Die Entscheidung des LG Verden
1. Die rechtlichen Grundlagen
Bevor die Entscheidung des LG Verden im einzelnen vorgestellt werden kann, erscheint es hilfreich, die Vorschriften zu erläutern, die im hier gegebenen Fall zur Anwendung gelangten:
- § 43 Abs. 2 GmbHG (= GmbH-Gesetz): Nach dieser Vorschrift schuldet der Geschäftsführer einer GmbH Schadensersatz, wenn er bei der Ausübung seines Amtes Fehler macht und die Gesellschaft dadurch einen Schaden erleidet. Das Gesetz erwartet dabei vom Geschäftsführer ein hohes Maß an Professionalität: Der Geschäftsführer muß die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters walten lassen.
- § 17 InsO (= Insolvenzordnung): Wie sich zeigen wird, hing der Ausgang des Prozesses ganz wesentlich von der Frage ab, ob und ggf. wann das Fensterbau-Unternehmen insolvenzreif (also pleite) war. Dafür bedarf es eines sogenannten Insolvenzgrundes. Als Insolvenzgrund kam hier die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 Abs. 1 InsO) in Betracht. Es ging mithin um die Frage, ob das Fensterbau-Unternehmen außerstande war, seine fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 InsO).
- § 177a HGB (= Handelsgesetzbuch) in Verbindung mit § 130a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 HGB: Der Geschäftsführer darf aus dem Vermögen der GmbH & Co. KG keine Zahlungen mehr leisten, wenn die Gesellschaft zahlungsunfähig oder überschuldet ist. Denn in diesem Fall muß der Geschäftsführer das Vermögen der Gesellschaft zusammenhalten. Es naht nämlich nunmehr das Insolvenzverfahren. Das Insolvenzverfahren zielt auf eine gleichmäßige Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger. Dasjenige, was im Vermögen der Gesellschaft noch vorhanden ist, soll daher nicht mehr ausgegeben, sondern später an die Gläubiger verteilt werden. Salopp gesprochen: Wenn der Laden pleite ist, gibt es keine Extrawürste mehr. Alle Gläubiger müssen dann voraussichtlich Federn lassen – und es ist Aufgabe des Geschäftsführers, dafür zu sorgen, daß es dann wenigstens noch so viel zu verteilen gibt wie irgend möglich.
- Wenn man es ganz genau nimmt, waren diese Vorschriften auf den hier gegebenen Fall allerdings gar nicht anwendbar, da sie erst am 1.11.2008 und damit kurz nach dem Zeitraum in Kraft traten, in dem sich die hier geschilderten Vorgänge abspielten. Vorher gab es aber eine gleichlautende Regelung in § 177a Satz 1 HGB in Verbindung mit § 130a Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 HGB. Durch die Neufassung sind diese Vorgaben lediglich jeweils um einen Absatz nach oben gerutscht. Der Einfachheit halber orientiert sich daher die nachfolgende Darstellung – ebenso wie das Urteil des LG Verden – an den heute geltenden Vorschriften.
- § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO in Verbindung mit §§ 129 ff. InsO: Auch hier geht es darum, daß die Gläubiger gleichmäßig befriedigt werden. Der noch vorhandene „Kuchen“ soll unter den Gläubigern möglichst gleichmäßig verteilt werden. Deshalb müssen sich Personen, die kurz vor der Pleite noch Leistungen (z. B. Zahlungen) aus dem Vermögen des späteren Insolvenzschuldners empfangen haben, darauf einstellen, daß sie diese Leistungen nicht behalten dürfen. Der Insolvenzverwalter kann nämlich dem Empfänger einer solchen Leistung erklären, daß er diese Leistung nicht akzeptiert und daher wieder rückgängig machen will. Diese Erklärung nennt man Insolvenzanfechtung. Diese ist in §§ 129 ff. InsO näher geregelt. Erneut steht der Gedanke Pate, daß es kurz vor der Pleite keine Extrawürste mehr gibt und daß alle Gläubiger voraussichtlich Federn lassen müssen. Die Voraussetzungen dieser Insolvenzanfechtung sind je nach Lage des einzelnen Falles unterschiedlich. Unter anderem spielt es eine Rolle, ob derjenige, der eine Leistung aus dem Vermögen des Insolvenzschuldners empfangen hat, einen Rechtsanspruch auf sie hatte (dann Anfechtung nur unter den Voraussetzungen des § 130 InsO) oder nicht (dann Anfechtung unter den – wesentlich weniger strengen – Voraussetzungen des § 131 InsO). Die Insolvenzanfechtung führt nach § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO dazu, daß der Empfänger dasjenige, was er vom Insolvenzschuldner erhalten hat, wieder zurückerstatten muß.
2. Der erste Vorwurf: Private Rechnungen auf Unternehmenskosten bezahlt?
Das LG Verden hielt den Beklagten auf der Grundlage des § 43 Abs. 2 GmbHG für verpflichtet, diejenigen Zahlungen zu erstatten, die – so hatte es der Kläger behauptet – in Wirklichkeit privaten Zwecken dienten. Das LG Verden stellte sich auf den Standpunkt, der Beklagte habe diese Zahlungen nicht veranlassen dürfen, weil er damit gegen die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters verstoßen habe.
a) Dabei mußte das LG Verden eine erste Hürde nehmen, die in der juristischen Konstruktion begründet liegt: Das Fensterbau-Unternehmen war in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG organisiert. Eine KG (Kommanditgesellschaft) ist dadurch gekennzeichnet, daß mindestens ein Gesellschafter mit seinem gesamten Vermögen für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft einzustehen hat (sogenannter persönlich haftender Gesellschafter oder auch Komplementär); dieser Gesellschafter führt auch die Geschäfte der KG. Die anderen Gesellschafter, die sogenannten Kommanditisten, haften demgegenüber nur beschränkt auf ihre Einlage. Bei der GmbH & Co. KG ist die GmbH der einzige persönlich haftende Gesellschafter; nun haftet aber die GmbH ihrerseits nur mit ihrem Gesellschaftsvermögen (§ 13 Abs. 2 GmbHG). Der Beklagte war nun der Geschäftsführer der GmbH, und die GmbH war Geschäftsführerin der KG. Der Kläger war als Insolvenzverwalter über das Vermögen der KG bestellt; der Beklagte war aber Geschäftsführer der GmbH. Das LG Verden entschied aber im Anschluß an die Rechtsprechung des BGH[2], daß bei der GmbH & Co. KG der Geschäftsführer der GmbH auch für das Vermögen der KG verantwortlich ist. Wenn der Geschäftsführer der GmbH in verbotener Weise Zahlungen aus dem Vermögen der KG veranlaßt, haftet er also der KG genauso, wie wenn er in verbotener Weise Zahlungen aus dem Vermögen der GmbH veranlaßt hätte. Einfacher ausgedrückt: Die Tatsache, daß die GmbH und die KG zwei verschiedene und rechtlich selbständige Gesellschaften sind, wird bei der Schadensersatzhaftung des Geschäftsführers ausgeblendet. Der Geschäftsführer muß sowohl das Vermögen der GmbH als auch das Vermögen der KG zusammenhalten und macht sich schadensersatzpflichtig, wenn er dieser Pflicht nicht nachkommt.
b) Was die Nachschlüssel für das Wohnhaus anbelangt, das der Tante des Beklagten gehörte, so stellt das LG Verden zunächst fest, daß die Rechnung des Unternehmens, das die Schlüssel geliefert habe, aus dem Vermögen des Fensterbau-Unternehmens (also der KG) gezahlt worden sei. Die Lieferung der Schlüssel sei aber offensichtlich nicht dem Fensterbau-Unternehmen zugute gekommen. Einen gegenteiligen Sachverhalt hätte, so das LG Verden, der Beklagte beweisen müssen. Denn der Geschäftsführer, der auf der Basis des § 43 Abs. 2 GmbHG auf Schadensersatz belangt werde, müsse darlegen und beweisen, daß er seinen Pflichten nachgekommen sei [3]. Der Beklagte habe aber gerade nicht nachweisen können, daß sein Verhalten rechtlich in Ordnung gewesen sei.
c) Zu den Gutachterkosten und den Bodenbelägen hatte der Beklagte – wir erinnern uns – vorgetragen, das Fensterbau-Unternehmen habe auch an ihn selbst Schiebetüren geliefert und diese in das private Wohnhaus des Beklagten eingebaut. Die Leistung des Fensterbau-Unternehmens habe Mängel aufgewiesen. Die Gutachterkosten seien angefallen, um diese Mängel im einzelnen zu ermitteln. Die Kosten für die Bodenbeläge seien angefallen, weil die bisherigen Bodenbeläge Schaden genommen hätten – und zwar in einer Weise, die auf den mangelhaften Einbau der Schiebetüren zurückzuführen sei. Das Fensterbau-Unternehmen sei also verpflichtet gewesen, dem Beklagten diese Kosten zu ersetzen. Indem der Beklagte die Rechnungen für das Gutachten und für die Bodenbeläge bezahlt habe, habe er also nur diese Ersatzpflicht des Fensterbau-Unternehmens erfüllt. Diesen Vortrag hielt das LG Verden für nicht nachvollziehbar: Andere Positionen, die ebenfalls durch den mangelhaften Einbau der Schiebetüren verursacht worden seien, seien auf das Privatentnahmekonto des Beklagten gebucht worden. Anders ausgedrückt: Der Beklagte habe andere Rechnungen, welche die mangelhafte Montage der Schiebetüren im privaten Wohnhaus des Beklagten betrafen, selbst als private Rechnungen behandelt und zugegeben, daß die Bezahlung dieser Rechnungen nur ihm selbst zugute komme. Dann sei nicht einzusehen, warum dies ausgerechnet bei den Gutachterkosten zur Mängelerforschung und bei den Bodenbelägen anders liegen solle: Warum solle dem Beklagten ausgerechnet die Erstattung dieser beiden Positionen unter dem Gesichtspunkt der Mängelgewährleistung zustehen? Außerdem müsse der Beklagte etwaige Rechte wegen Mängeln der Schiebetüren gegenüber den Subunternehmern des Fensterbau-Unternehmens geltend machen.
3. Der zweite Vorwurf: Einzelne Gläubiger zu Unrecht auf Kosten der anderen bevorzugt?
Das Gericht hielt den Beklagten auf der Grundlage von § 177a HGB in Verbindung mit § 130a Abs. 2 Satz 1 HGB für verpflichtet, die Beträge zu erstatten, die er ausgegeben hatte, um Schulden des Fensterbau-Unternehmens zu bezahlen.
a) Nach § 177a HGB in Verbindung mit § 130a Abs. 1 Satz 1 HGB darf die Geschäftsführung einer GmbH & Co. KG keine Zahlung für die Gesellschaft leisten, wenn die Gesellschaft in diesem Zeitpunkt bereits zahlungsunfähig oder überschuldet ist. Geschieht dies trotzdem, so hat die Geschäftsführung gemäß § 177a HGB in Verbindung mit § 130a Abs. 2 Satz 1 HGB diese (dann verbotenen) Zahlungen aus eigener Tasche zu erstatten. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob derjenige, an den die Zahlung geleistet wurde, einen Anspruch darauf hatte: Das Auszahlungsverbot des § 130a Abs. 1 Satz 1 HGB besteht im Interesse aller Gesellschaftsgläubiger. Es soll verhindert werden, daß die Masse, die am Ende an alle Gläubiger verteilt werden soll, durch Auszahlungen verringert wird[4]. Es geht daher auch darum, die Bevorzugung einzelner Gläubiger zu verhindern: Wenn die Gesellschaft pleite ist, werden eben (jedenfalls im Grundsatz) alle Forderungen nur noch zum Teil bedient.
b) Die Klage konnte daher, soweit es um die Beträge ging, mit denen der Beklagte Schulden des Fensterbau-Unternehmens bezahlt hatte, nur Erfolg haben, wenn das Fensterbau-Unternehmen tatsächlich zahlungsunfähig oder überschuldet war. Eben dies nahm das LG Verden an: Das Fensterbau-Unternehmen sei in jenem Zeitpunkt, als der Beklagte die Zahlungen veranlaßte, bereits zahlungsunfähig (und damit insolvenzreif) gewesen. Das Fensterbau-Unternehmen habe in dem Zeitpunkt, da der Insolvenzantrag gestellt wurde, Verbindlichkeiten von € 3.735.000 gehabt, darunter € 642.000 aus Arbeitsverhältnissen und € 649.000 aus Steuern. Das Fensterbau-Unternehmen habe seit Mai 2008 (also bereits drei Monate bevor der Insolvenzantrag gestellt wurde) keine Gehälter mehr zahlen können. Im Juni 2008 habe das Fensterbau-Unternehmen € 900.000 und im Juli 2008 € 1 Mio. Verlust gemacht. Das LG Verden stützt sich dabei maßgeblich auf das Gutachten jenes Steuerberaters, das der Kläger vorgelegt und das der Beklagte bei seiner Verteidigung gegen die Klage intensiv bekämpft hatte. Das LG Verden ging, ohne dies eigenständig zu begründen, davon aus, daß das Fensterbau-Unternehmen bereits seit dem 31.12.2007 zahlungsunfähig war.
c) Vor diesem Hintergrund habe der Beklagte zunächst jene Beträge zu erstatten, die er selbst vereinnahmt und nicht an das Fensterbau-Unternehmen abgeführt, sondern sogleich an einzelne Lieferanten und Arbeitnehmer ausgezahlt habe (insgesamt € 40.000). Damit habe der Beklagte einzelne Gläubiger bevorzugt bedient. Dies sei zwangsläufig zu Lasten anderer Gläubiger gegangen. Die Auszahlung von Löhnen sei auch nicht deshalb gerechtfertigt gewesen, weil der Beklagte sich davon eine Fortführung des Betriebs und nachfolgend eine wirtschaftliche Erholung des Fensterbau-Unternehmens erhofft habe: Die Insolvenzmasse sei allein schon dadurch verkürzt worden, daß der Beklagte das Geld nicht auf das Konto des Fensterbau-Unternehmens eingezahlt, sondern selbst einbehalten habe.
d) Bei den Beträgen, die der Beklagte bar vom Konto des Fensterbau-Unternehmens abgehoben hatte, bevor Insolvenzantrag gestellt wurde, nahm das LG Verden sogar unter zwei rechtlichen Gesichtspunkten eine Verpflichtung des Beklagten an, diese Beträge zu erstatten. Zum einen liege auch hier eine Auszahlung vor, die nach § 177a HGB in Verbindung mit § 130a Abs. 1 Satz 1 HGB verboten gewesen sei; der Beklagte sei also abermals nach § 177a HGB in Verbindung mit § 130a Abs. 2 Satz 1 HGB verpflichtet, diese Beträge zu erstatten. Zum anderen habe der Beklagte gewußt, daß die Barabhebung sich zum Nachteil der übrigen Gläubiger des Fensterbau-Unternehmens auswirke. Der Kläger habe folglich die Barabhebung zu Recht nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO angefochten. Daher, so das LG Verden, sei der Beklagte auch nach § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO verpflichtet, die abgehobenen Beträge zurückzuzahlen.
Bemerkenswert ist, daß das Gericht in diesem Zusammenhang auf die Einwände des Beklagten nicht eingeht. Der Beklagte hatte zwei Abhebungen (€ 2.000 und € 504,98) damit gerechtfertigt, er habe diese Beträge als Gehaltszahlung zu beanspruchen gehabt. Dazu findet sich im Urteil des LG Verden kein Wort. Zu den beiden anderen Positionen (€ 8.000 und € 38.000) wird lediglich ohne ein Wort der Begründung ausgeführt, daß der Beklagte auf diese Beträge keinen Anspruch gehabt habe. Auch die Behauptung des Beklagten, daß er eine Abhebung von € 8.000 nie erhalten habe, wird mit keinem Wort gewürdigt; ebensowenig die Behauptung des Beklagten, daß er die Abhebung von € 38.000 verwendet habe, um Schulden des Fensterbau-Unternehmens zu bezahlen.
e) Bei den Beträgen, die der Beklagte bar vom Konto des Fensterbau-Unternehmens abgehoben hatte, nachdem Insolvenzantrag gestellt worden war, nahm das LG Verden erneut an, daß der Beklagte sowohl nach § 177a HGB in Verbindung mit § 130a Abs. 2 Satz 1 HGB also auch nach § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO verpflichtet sei, diese Beträge zurückzuerstatten. Der Beklagte habe keinen Anspruch auf die Zahlung gehabt. Wenn er den Betrag verwendet habe, um das Darlehen zurückzuzahlen, das sein Onkel dem Fensterbau-Unternehmen gewährt hatte, stelle dies die Bevorzugung seines Onkels vor anderen Gläubigern des Fensterbau-Unternehmens dar.
f) Das Gericht gewährte dem Beklagten allerdings noch ein „Trostpflaster“: Hätte der Beklagte nicht die Forderungen einzelner Gläubiger bedient, so hätten diese ihre Forderungen zur Insolvenztabelle angemeldet und darauf möglicherweise Zahlungen erhalten – erfahrungsgemäß allerdings nicht in der vollen Höhe, sondern nur zum Teil (Insolvenzquote). Dadurch, daß der Beklagte die Forderungen schon bedient hatte, mußten diese nicht mehr angemeldet werden. Das hätte die merkwürdige Konsequenz, daß die übrigen Gläubiger jetzt mehr bekämen, als sie bekommen hätten, wenn der Beklagte vor der Insolvenz keinerlei Zahlungen veranlaßt hätte. Die übrigen Gläubiger würden von den verbotenen Auszahlungen dann sogar noch profitieren. Dieses Problem löst das LG Verden im Anschluß an die Rechtsprechung des BGH [5] wie folgt: Der Geschäftsführer, hier also der Beklagte, muß zwar erst einmal alle verbotenen Auszahlungen erstatten. Er wird aber so behandelt, als stünden nun ihm die Forderungen zu, die er mit jenen Auszahlungen bedient hat. Dem Beklagten wurde also erlaubt, nunmehr eben diese Forderungen selbst zur Insolvenztabelle anzumelden.
4. Der dritte Vorwurf: Über Reisekostenvorschüsse nicht ordnungsgemäß abgerechnet?
Das LG Verden urteilte, der Beklagte habe gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG Reisekostenvorschüsse in Höhe von € 19.788,99 zu erstatten. Er habe Reisekostenvorschüsse in Höhe von € 58.198,50 erhalten. Für die Dienstreisen, die er unternommen habe, habe er aber nur Ausgaben in Höhe von € 31.877,40 belegt. Der Beklagte habe zwar weitere Quittungen zu den Prozeßakten gereicht. Die damit belegten Ausgaben müsse er aber nunmehr im Insolvenzverfahren geltend machen.
II. Die Entscheidung des OLG Celle
1. Der erste Vorwurf: Private Rechnungen auf Unternehmenskosten bezahlt?
Wir erinnern uns: Bei den Positionen, bei denen es um den Vorwurf ging, der Beklagte habe private Rechnungen auf Unternehmenskosten bezahlt, hatte der Beklagte mehrere Verteidigungslinien ins Feld geführt. Das OLG Celle befaßte sich nur mit einer einzigen davon, nämlich mit dem Einwand, nicht der Beklagte, sondern der Mehrheitsgesellschafter habe die Zahlungen veranlaßt. Das, so das OLG Celle, ändere nichts daran, daß die Auszahlungen rechtswidrig blieben. Und dafür sei der Beklagte persönlich verantwortlich – und zwar selbst dann, wenn die Überweisungen vom Mehrheitsgesellschafter ausgeführt worden seien. Denn es genüge für eine persönliche Verantwortlichkeit, daß der Beklagte zu dieser Überweisung Anlaß gegeben habe. Und dafür spreche, daß die Leistungen ausschließlich ihm zugute gekommen seien. Auch auf ein angebliches Einverständnis des Mehrheitsgesellschafters könne der Beklagte sich nicht berufen. Es stehe nicht einmal fest, daß der Mehrheitsgesellschafter gewußt habe, wem die Leistungen, für die das Geld bezahlt worden sei, zugute gekommen seien. Jedenfalls habe der Beklagte hierzu nichts vorgetragen. Der Mehrheitsgesellschafter könne daher gar nicht mit dem Willen gehandelt haben, dem Beklagten etwas zugute kommen zu lassen. Und schließlich seien die Positionen „Gutachterkosten“ und „Bodenbeläge“ nach Eintritt der Insolvenzreife bezahlt worden (also als das Fensterbau-Unternehmen bereits pleite gewesen sei). Spätestens jetzt hätten diese beiden Rechnungen überhaupt nicht mehr bezahlt werden dürfen.
2. Der zweite Vorwurf: Einzelne Gläubiger zu Unrecht auf Kosten der anderen bevorzugt?
Bevor das OLG Celle die Berufung des Beklagten zurückwies, hatte es die Einschätzung geäußert, daß das Fensterbau-Unternehmen jedenfalls aus einem Grund insolvenzreif gewesen sei: Das Fensterbau-Unternehmen habe dem Finanzamt mehr als € 800.000 an rückständiger Umsatzsteuer geschuldet. Die Umsatzsteuer sei nicht bezahlt worden. Daraus lasse sich schließen, daß das Fensterbau-Unternehmen zahlungsunfähig gewesen sei. Einschlägig sei hier § 17 Abs. 2 Satz InsO: Danach liegt Zahlungsunfähigkeit in der Regel vor, wenn der Schuldner die Zahlungen eingestellt hat.
Um den nachfolgenden Gedankengang des OLG Celle zu verstehen, ist an einige Grundsätze zu erinnern, die der BGH zur Interpretation des Merkmals „Zahlungsunfähigkeit“ in § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO aufgestellt hat. Der BGH hat insoweit folgendes ausgeführt: (1) Die Zahlungen sind eingestellt, wenn erhebliche fällige Verbindlichkeiten bestehen und diese bis zur Insolvenzeröffnung nicht beglichen sind; dabei genügt eine einzige Verbindlichkeit, wenn diese eine erhebliche Höhe erreicht [6]. (2) Wenn der Schuldner einmal seine Zahlungen eingestellt hat (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO), erlangt er seine Zahlungsfähigkeit erst wieder, wenn er die Zahlungen wieder aufnimmt [7]. (3) Bei der Feststellung, ob der Schuldner zahlungsunfähig ist, dürfen jedoch „Forderungen, die rechtlich oder auch nur tatsächlich – also ohne rechtlichen Bindungswillen oder erkennbare Erklärung – gestundet sind, bei der Feststellung der Zahlungseinstellung und Zahlungsunfähigkeit nicht berücksichtigt werden“ [8]. Folglich darf bei der Prüfung, ob der Schuldner zahlungsunfähig ist, „eine Forderung, die früher ernsthaft eingefordert war, nicht mehr berücksichtigt werden, wenn inzwischen ein Stillhalteabkommen – das keine Stundung im Rechtssinne enthalten muß – mit dem Gläubiger geschlossen wurde“ [9]. Wenn also der Schuldner eine Forderung nicht begleicht, der Gläubiger aber damit einverstanden ist, daß sie vorerst nicht beglichen wird, ist sie im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO nicht fällig; aus der Tatsache, daß sie nicht erfüllt wird, darf dann eben nicht auf die Zahlungsunfähigkeit geschlossen werden [10]. Einfacher – und etwas vergröbert – ausgedrückt: Wer seine Schulden nicht bezahlt, ist pleite, es sei denn, er schafft es, seine Gläubiger dazu zu bewegen daß sie die Füße stillhalten. Der BGH hatte sich im Zusammenhang mit § 17 InsO auch speziell zu Steuerforderungen geäußert und dabei folgendes ausgeführt [11]: Wenn über die Forderung ein Steuerbescheid existiert, das Finanzamt dessen Vollziehung aber aussetzt, darf die Steuerforderung bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit nicht berücksichtigt werden. Die Finanzbehörde gibt nämlich, so der BGH, „mit der Aussetzung zu erkennen, daß sie nicht beabsichtigt, den Bescheid durchzusetzen, solange dessen Rechtmäßigkeit im Streit steht. Ungeachtet ihrer rechtlichen Möglichkeiten sieht sie sich – aus autonomen Gründen – an der Durchsetzung ihrer Forderung gehindert und bringt dies mit der Aussetzungsentscheidung auch zum Ausdruck. In gleicher Weise wie bei einer stundungsähnlichen Vereinbarung wird für den Zeitraum der Aussetzung der Vollziehung eine Begleichung der fälligen Forderung durch den Schuldner nicht erwartet.“
Aus diesen Rechtsprechungsgrundsätzen zieht das OLG Celle für den vorliegenden Fall die folgenden Schlüsse: Das Fensterbau-Unternehmen habe seine Zahlungen eingestellt; denn eine Steuerschuld von erheblichem Volumen sei nicht beglichen worden. Nun hatte sich der Beklagte gegen diese Einschätzung mit der Begründung gewehrt, die Umsatzsteuer sei in Wirklichkeit nicht geschuldet gewesen. Im Fachjargon: Die Soll-Besteuerung habe auf Ist-Besteuerung umgestellt werden müssen [12]. Außerdem habe das Finanzamt die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides ausgesetzt (will sagen: das Finanzamt habe zugesagt, die Steuerschuld vorerst nicht zwangsweise durchzusetzen). Diese Einwände ließ das OLG Celle nicht gelten. Die Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners, der fällige Steuern nicht bezahlt habe, werde nämlich nicht schon dadurch beseitigt, daß das Finanzamt die Vollziehung eines Steuerbescheides aussetze. Die Zahlungsunfähigkeit werde vielmehr nur und erst dann beseitigt, wenn das Finanzamt die Vollziehung gerade deshalb aussetze, weil es selbst an der Rechtmäßigkeit dieses Bescheides Zweifel hege. Solche Zweifel habe das Finanzamt im vorliegenden Fall aber gerade nicht zu erkennen gegeben. Die Umsatzsteuer sei vom Finanzamt mittels eines Steuerbescheides festgesetzt worden. Der Steuerbescheid sei bereits bestandskräftig gewesen (was soviel bedeutet wie: Die Fristen für Rechtsbehelfe, um sich gegen den Bescheid zu wehren, seien seinerzeit bereits abgelaufen und es sei daher für jede Gegenwehr zu spät gewesen). Das Fensterbau-Unternehmen habe sich gegen die Festsetzung der Steuer nicht gewehrt. Einfach er ausgedrückt: Grundsätzlich ist nach Ansicht des OLG Celle ein Unternehmen zahlungsunfähig (also pleite), wenn das Finanzamt Steuern festgesetzt hat und das Unternehmen diese Steuern nicht bezahlt. Etwas anderes gilt nach Ansicht des OLG Celle nur, wenn das Finanzamt hinterher erklärt, daß es selbst nicht mehr sicher ist, ob es die Steuer wirklich verlangen kann. Einen solchen Fall meinte das OLG Celle hier nicht feststellen zu können.
Da aber nun, so führt das OLG Celle weiter aus, das Fensterbau-Unternehmen pleite gewesen sei, habe der Beklagte als Geschäftsführer keine Auszahlungen mehr veranlassen dürfen – auch nicht an jene Personen, die tatsächlich etwas von dem Fensterbau-Unternehmen zu beanspruchen hatten. Zahlungen an Lieferanten habe der Beklagte insbesondere nicht deshalb leisten dürfen, weil dies erforderlich gewesen sei, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Denn zum einen sei zumindest möglich, daß das Fensterbau-Unternehmen die noch laufenden Aufträge mit den schon vorhandenen Lagerbeständen hätte erfüllen können; Gegenteiliges habe der Beklagte nicht vorgetragen. Zum anderen habe der Beklagte jederzeit damit rechnen müssen, daß die Arbeitnehmer des Fensterbau-Unternehmens – die ja immerhin monatelang kein Gehalt bekommen hätten – von jetzt auf gleich ihre Arbeit einstellten. Zu den € 8.000, die vor Insolvenzantragstellung bar abgehoben wurden, führte das OLG Celle aus, der Beklagte habe nicht substantiiert (also nicht konkret genug) vorgetragen, daß er diesen Betrag in die Kasse der Gesellschaft eingezahlt habe. Zu den € 38.000, die der Beklagte dazu verwendet hatte, ein Darlehen seines Onkels zurückzuzahlen, führt das OLG Celle aus, diese Auszahlung habe der Beklagte angesichts dessen, daß das Fensterbau-Unternehmen pleite gewesen sei, nicht mehr veranlassen dürfen. Das OLG Celle bezweifelt außerdem, daß der Beklagte das Geld überhaupt an seinen Onkel weitergeleitet hatte: Dies habe der Beklagte weder dargetan noch bewiesen.
3. Der dritte Vorwurf: Über Reisekostenvorschüsse nicht ordnungsgemäß abgerechnet?
Zu den Reisekosten führt das OLG Celle zweierlei aus: Erstens habe es sich bei den Belegen, die der Beklagten eingereicht habe, zu einem erheblichen Teil um Eigenbelege gehandelt, die der Beklagte selbst ausgestellt habe und aus denen sich die betriebliche Veranlassung der Ausgaben nicht entnehmen lasse. Zweitens habe der Beklagte es unterlassen, über die Reisekostenvorschüsse zeitnah abzurechnen. Damit habe der Beklagte seine Geschäftsführerpflichten verletzt und sei daher nach § 43 Abs. 2 GmbHG verpflichtet, die Vorschüsse zurückzuerstatten.
Der Beklagte könne gegen diesen Erstattungsanspruch auch nicht mehr jene Belege ins Feld führen, die das LG Verden nicht mehr berücksichtigt habe. Denn selbst wenn hinter diesen Belegen tatsächlich Reiseausgaben stünden, die dem Beklagten mit Rücksicht auf seine Tätigkeit als Geschäftsführer entstanden seien, kämen darauf gestützte Einwände des Beklagten gegen seine Schadensersatzpflicht jetzt zu spät. Das OLG Celle wendet hier zu Nachteil des Beklagten § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO an. Damit hat es die folgende Bewandtnis: Wenn zwei Personen sich gegenseitig Geld schulden, kann nach § 387 BGB – jedenfalls grundsätzlich – jeder von ihnen die Aufrechnung erklären, soweit sich die Forderungen der Höhe nach decken. Diese Erklärung bedeutet: „Wir sind quitt“. Diese Erklärung bringt nach § 389 BGB die Forderungen beider Seiten zum Erlöschen. Das Recht, die Aufrechnung zu erklären, bleibt nach § 94 InsO auch dann bestehen, wenn über das Vermögen einer der Parteien das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Die Aufrechnung scheidet aber nach § 95 Abs. 1 Satz 3 InsO aus, wenn die Forderung, die der Insolvenzmasse zusteht, früher fällig wird als die Gegenforderung, die zur Aufrechnung gestellt werden soll. Wenn also im Zeitpunkt 1 jemand dem Insolvenzschuldner (bzw. dann später der Insolvenzmasse) etwas schuldet und erst im Zeitpunkt 2 seinerseits vom Insolvenzschuldner (bzw. von der Insolvenzmasse) etwas verlangen kann, kann er keine Aufrechnung erklären. Auf unseren Fall gemünzt: Wenn der Beklagte erst die Rückzahlung von Reisekostenvorschüssen schuldete und sein eigener Anspruch auf Erstattung von Reisekosten erst später fällig wurde, konnte er nicht aufrechnen. Er mußte dann die Vorschüsse zurückzahlen und darauf hoffen, daß er seine Reisekosten noch irgendwie aus der Insolvenzmasse erstattet bekommt. Eben dies nimmt das OLG Celle hier an: Der Beklagte sei mit jenen Belegen, die das LG Verden nicht berücksichtigt habe, viel zu spät um die Ecke gekommen, nämlich erst während des Prozesses, als das Fensterbau-Unternehmen längst pleite gewesen und das Insolvenzverfahren längst eröffnet worden sei. Da der Beklagte in diesem Umfang seine Reisekosten erst jetzt abgerechnet habe, könne er auch erst jetzt Erstattung verlangen. Diesen Erstattungsanspruch könne er aber nicht mehr gegen seine Schadensersatzpflicht aus § 43 Abs. 2 GmbHG aufrechnen.
III. Die Entscheidung des BGH
Gegen den Beschluß des OLG Celle, die Berufung zurückzuweisen, legte der Beklagte eine sog. Nichtzulassungsbeschwerde ein. Er erstrebte mit dieser Beschwerde, daß der BGH die Revision zuließ. Wäre es dazu gekommen, so wäre es zu einer Revisionsverhandlung gekommen, in denen die Einwände des Beklagten gegen den Beschluß des OLG Celle im einzelnen erörtert worden wären. Die Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Anwalt des Beklagten eingehend begründet. Der BGH machte jedoch kurzen Prozeß: Es liege kein Grund vor, die Revision zuzulassen. Der Senat (so nennt man die Spruchkörper beim BGH) habe die Verfahrensrügen geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer näheren Begründung werde nach § 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO (= Zivilprozeßordnung) abgesehen. Mit diesem Schriftstück, das insgesamt nicht mehr als zwei Seiten umfaßt, wies der BGH die Beschwerde des Beklagten zurück.
Warum handelt es sich um Fehlentscheidungen?
I. Die Entscheidung des LG Verden
Die Entscheidung des LG Verden ist in einigen Punkten schon in sich nicht schlüssig. Vor allem aber hat das LG Verden auf breiter Fläche Beweisangebote des Beklagten ignoriert und damit das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) des Beklagten verletzt.
1. Der erste Vorwurf: Private Rechnungen auf Unternehmenskosten bezahlt?
a) Zur Rechnung über die fünf Nachschlüssel für das Wohnhaus der Tante des Beklagten hatte sich der Beklagte wie folgt verteidigt: Die Rechnung sei erstens nur abgezeichnet, aber nicht bezahlt worden. Zweitens habe nicht er selbst, sondern sein Mitgesellschafter (also jener, der die Mehrheit der Anteile hielt) die Rechnung abgezeichnet. Drittens habe die Tante des Beklagten diese Schlüssel ihrerseits ordnungsgemäß beim Fensterbau-Unternehmen bestellt. Die Leistung sei also nicht dem Beklagten privat, sondern dem Fensterbau-Unternehmen zugute gekommen. Deshalb habe das Fensterbau-Unternehmen die Nachschlüssel aus betrieblich veranlaßten Gründen bestellt: Es habe diese Schlüssel benötigt, um seinen Vertrag mit der Tante des Beklagten zu erfüllen. Jene Tante sei also eine ganz normale Kundin des Fensterbau-Unternehmens gewesen. Zum Beweis dieses Vortrags hatte der Beklagte seine Tante als Zeugin benannt.
Diesem Sachvortrag hätte das LG Verden nachgehen müssen, und zwar in allen Punkten:
- Wenn die Rechnung gar nicht aus dem Vermögen des Fensterbau-Unternehmens gezahlt wurde, fiel der Vorwurf, dem Fensterbau-Unternehmen sei durch unsorgfältige Geschäftsführung ein Schaden entstanden, in sich zusammen. Zwar mag es sein, daß es am Beklagten lag, vorzutragen, daß und inwiefern er seinen Sorgfaltspflichten als Geschäftsführer genügt hat. Jedenfalls aber die Behauptung, dem Fensterbau-Unternehmen sei ein Schaden entstanden, hätte der Kläger darlegen und beweisen müssen. Der Kläger hätte daher Beweis dafür anbieten müssen, daß die Rechnung des Lieferanten überhaupt aus der Kasse des Fensterbau-Unternehmens bezahlt wurde. Der Kläger hatte für diese Behauptung aber keinen Beweis angeboten. Allein die Tatsache, daß die Rechnung – von wem auch immer – abgezeichnet worden war, genügt dafür nicht.
- Ein Schaden war dem Fensterbau-Unternehmen jedenfalls dann nicht entstanden, wenn das Fensterbau-Unternehmen die fünf Nachschlüssel benötigte, um ihren Vertrag mit der Tante des Beklagten zu erfüllen. Der Beklagte hatte vorgetragen, daß es zwischen seiner Tante und dem Fensterbau-Unternehmen eine entsprechende Geschäftsbeziehung gab. Er hatte seine Tante dafür als Zeugin benannt. Jedenfalls diesem Beweisangebot hätte das LG Verden nachgehen müssen.
- Nicht nur bei dieser, sondern auch bei anderen Positionen hatte der Beklagte wiederholt folgenden Gesichtspunkt vorgetragen und besonders betont: Im absoluten Regelfall seien Zahlungen aus dem Vermögen des Fensterbau-Unternehmens nicht vom Beklagten, sondern vom Mehrheitsgesellschafter veranlaßt worden. Der Beklagte habe Zahlungen nur im Ausnahmefall auf den Weg gebracht, dann nämlich, wenn der Mehrheitsgesellschafter verhindert gewesen sei. Eben dies hatte sogar die Beweisaufnahme vor dem LG Verden ergeben: Frühere Mitarbeiter des Fensterbau-Unternehmens hatten entsprechend ausgesagt. Er hatte auch nicht vorgetragen, daß der Beklagte die Nachschlüssel selbst bestellt hatte. Selbst wenn man also zugrunde legen wollte, daß dem Fensterbau-Unternehmen ein Schaden entstanden war, war in keiner Weise schlüssig vorgetragen worden, daß gerade der Beklagte diesen Schaden verursacht hatte. Der BGH hatte zu einer früheren Gesetzesfassung [13] ausgesprochen, daß eine Haftung wegen verbotener Auszahlungen bei Insolvenzreife nur in Betracht kommt, wenn der betreffende Gesellschafter bzw. Geschäftsführer die Zahlung veranlaßt habe [14]. Eine solche Veranlassung habe der Insolvenzverwalter, der den Erstattungsanspruch geltend mache, darzulegen und zu beweisen[15]. Eben dies war hier nicht geschehen.
b) Zur Rechnung für das Gutachten, mit dem Mängel am Wohnhaus des Beklagten festgestellt wurden, hatte sich der Beklagte damit verteidigt, das Fensterbau-Unternehmen hätte in seinem Wohnhaus Schiebetüren eingebaut und dabei Fehler gemacht, die zu Schäden am Wohnhaus geführt hätten. Für diesen Vortrag hatte der Beklagte Beweis angeboten, indem er beantragt hatte, die Akte aus einem selbständigen Beweisverfahren beizuziehen, in dem es um die Mängel an ebendiesem Fenster ging; außerdem hatte er die Vernehmung mehrerer Zeugen beantragt. Die Zahlung an die Gutachterfirma sei auch nicht vom Beklagten, sondern vom Mehrheitsgesellschafter des Unternehmens veranlaßt worden. Aus den Akten geht tatsächlich hervor, daß die Rechnung für das Gutachten durch den Mehrheitsgesellschafter abgezeichnet wurde.
Auch diesem Sachvortrag hätte das LG Verden nachgehen müssen:
- Wenn es stimmte, daß das Fensterbau-Unternehmen im Wohnhaus des Beklagten mangelhafte Schiebetüren geliefert und diese auch noch fehlerhaft montiert hatte, konnte der Beklagte vom Fensterbau-Unternehmen Ersatz für die Gutachterkosten verlangen. Man kann sich allenfalls darüber streiten, ob dieser Anspruch sich schon aus § 635 Abs. 2 BGB ergibt [16] oder aber aus § 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB[17]; nähere Ausführungen dazu würden indes hier den Rahmen sprengen. Wenn aber der Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der Gutachterkosten hatte, war mit der Zahlung nur eine Verbindlichkeit des Fensterbau-Unternehmens gegenüber dem Beklagten erfüllt worden. Dem Fensterbau-Unternehmen war in diesem Fall kein Schaden entstanden. Daher hätte das LG Verden diesem Vortrag des Beklagten nachgehen müssen. Es hätte sich nicht mit der Feststellung begnügen dürfen, andere Positionen, die ebenso den mangelhaften Fenstereinbau beträfen, seien als Privatentnahme gebucht worden. Denn diese Vorgehensweise des LG Verden läuft auf eine vorweggenommene Beweiswürdigung hinaus. Es paßt zwar in der Tat nicht recht zusammen, wenn der Beklagte sowohl vortrug, er habe wegen der Gutachterkosten und der Bodenbeläge Mängelansprüche gegen das Fensterbau-Unternehmen, als auch geltend machte, er habe sich diese beiden Positionen auf sein Gehalt anrechnen lassen (siehe zu letzterem sogleich). Angesichts der Beweisangebote des Beklagten hätte das LG Verden sich aber nicht damit begnügen dürfen, diesen Widerspruch festzustellen.
- Der Beklagte hatte außerdem vorgetragen, daß die Zahlung an die Gutachterfirma dem Privatentnahmekonto des Beklagten belastet wurde. Das LG Verden stellt im hier besprochenen Urteil an anderer Stelle (S. 14 Mitte) selbst fest, daß diese Privatentnahmen wirtschaftlich nicht das Fensterbau-Unternehmen belasteten und in ihnen daher kein Schaden des Fensterbau-Unternehmens liegt. Aus den Akten geht hervor, daß der Betrag, der an die Gutachterfirma bezahlt wurde, als Privatentnahme gebucht wurde. Eben dies hatte der Beklagte auch vorgetragen. Das LG Verden hat dies sogar selbst gesehen (S. 13 des Urteils). Dann hätte es daraus den Schluß ziehen müssen, daß die Gutachterkosten das Vermögen des Fensterbau-Unternehmens wirtschaftlich nicht belasteten.
- Abermals hätte das LG Verden seiner Entscheidung nicht die Annahme zugrunde legen dürfen, der Beklagte habe die Zahlung veranlaßt. Denn erstens hatte der Beklagte eben dies bestritten. Zweitens hatte er vorgetragen, daß Zahlungen im absoluten Regelfall nicht von ihm, sondern vom Mehrheitsgesellschafter veranlaßt wurden. Dies wurde sogar durch die spätere Beweisaufnahme erhärtet. Da die Rechnung der Gutachterfirma nachweislich vom Mehrheitsgesellschafter abgezeichnet wurde, sprach alles dafür, daß gerade diese Rechnung auf jeden Fall auf Veranlassung des Mehrheitsgesellschafters bezahlt wurde. Gegenteiliges hatte der Kläger nicht einmal vorgetragen.
c) Ähnliches gilt für die Bodenbeläge. Wenn es stimmte, daß die alten Bodenbeläge im Wohnhaus des Beklagten wegen der mangelhaft eingebauten Schiebetüren Schaden genommen hatten, hatte der Beklagte gegen das Fensterbau-Unternehmen einen Anspruch darauf, daß ihm die Kosten für neue Bodenbeläge ersetzt wurden (§§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1, 249 Abs. 2 Satz 1 BGB). Wenn aber der Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Bodenbeläge hatte, war mit der Zahlung nur eine Verbindlichkeit des Fensterbau-Unternehmens gegenüber dem Beklagten erfüllt worden. Dem Fensterbau-Unternehmen war in diesem Fall kein Schaden entstanden. Abermals hätte das LG Verden sich nicht damit zufriedengeben dürfen, daß andere Rechnungen, die den mangelhaften Fenstereinbau betrafen, als Privatentnahme verbucht wurden. Und abermals hätte das LG Verden aus der Tatsache, daß die Rechnung für die Bodenbeläge als Privatentnahme gebucht wurde, den Schluß ziehen müssen, daß jedenfalls aus diesem Grund dem Fensterbau-Unternehmen kein Schaden entstanden ist. Der Beklagte hatte eine solche Privatentnahme vorgetragen, und aus den Akten geht hervor, daß auch die Bezahlung der Bodenbeläge als Privatentnahme gebucht wurde.
d) Alles in allem hat das LG Verden daher den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt. In dem Versäumnis, dem Kläger einen Nachweis dafür abzuverlangen, daß die Nachschlüssel von dem Fensterbau-Unternehmen bezahlt wurden, liegt eine unzutreffende Handhabung des § 43 Abs. 2 GmbHG: Diese Vorschrift wurde angewendet, obwohl der Kläger einen Schaden der Gesellschaft weder schlüssig vorgetragen noch unter Beweis gestellt hatte. In dem Versäumnis, zu den beiden anderen Positionen (Gutachterfirma und Bodenbeläge) die Akten aus dem selbständigen Beweisverfahren beizuziehen und die Zeugen zu vernehmen, die der Beklagte benannt hatte, liegt eine Verletzung des § 286 ZPO: Das LG Verden hat sich seine Überzeugung auf der Basis einer unvollständigen Beweislage gebildet. Außerdem ist das rechtliche Gehör des Beklagten verletzt worden, weil das LG Verden seinen Beweisangeboten nicht nachgegangen ist. In dem Versäumnis, aufzuklären, ob die Zahlungen für Gutachten und Bodenbeläge vom Beklagten selbst veranlaßt wurden, liegt abermals eine unzutreffende Handhabung des § 43 Abs. 2 GmbHG: Diese Vorschrift wurde angewendet, obwohl nicht einmal ein Verhalten des Beklagten identifiziert wurde, das den angeblichen Schaden verursacht haben könnte.