Professor Dr. Martin Schwab

Kurzfristige Geldanlage mit langer Laufzeit! – Anmerkung zu OLG München, Urteil vom 5. 10. 2009 – 19 U 2510/09

Ein privater Kapitalanleger begibt sich in die Geschäftsräume einer Bank, um sich wegen einer Geldanlage beraten zu lassen. Er wünscht ausdrücklich eine kurzfristige Anlage. Empfohlen wird ihm eine unbefristete Unternehmensanleihe, die so konstruiert ist, daß er sie selbst nach sieben Jahren nicht wieder ausbezahlt bekommen wird. Das OLG München findet das alles völlig in Ordnung!

Was ist passiert? Der Kläger ließ sich von einem Mitarbeiter der beklagten Bank wegen einer Geldanlage beraten. Er hatte 100.000 Euro übrig, für die er eine kurzfristige Anlage suchte; wie er diese Summe langfristig einsetzen wollte, wußte er damals noch nicht. Der Mitarbeiter der Bank empfahl ihm daraufhin ein Wertpapier, das im Bankjargon „Unternehmensanleihe“ oder auch „perpetual“ heißt und das folgende Eigenheiten aufweist:

(1)   Die Einlagesumme wird dem Unternehmen zur Verfügung gestellt, welches das Papier herausgibt (sog. Emittent), und zwar unbefristet.

(2)   Der Emittent – und nur er! – kann die Anleihe nach einer bestimmten Laufzeit, frühestens nach sieben Jahren, kündigen. Dagegen hat der Anleger, der diese Anleihe zeichnet, zu keinem Zeitpunkt das Recht, von sich aus die Auszahlung der Einlagesumme zu verlangen.

(3)   Das Papier wird über die Börse gehandelt, kann also dort verkauft und auf diese Weise wieder zu Geld gemacht werden.

(4)   Wenn der Emittent zahlungsunfähig wird, hat der Anleger erst dann eine Chance, sein Geld zurückzubekommen, wenn alle übrigen Gläubiger (also alle, denen der Emittent sonst noch etwas schuldet) mit ihren Forderungen zu 100% bedient worden sind. Da das bei einer Insolvenz praktisch nie passiert, bedeutet dies im praktischen Ergebnis: Wenn der Emittent pleite ist, ist die Einlage für den Anleger restlos verloren.

Der Anleger nahm diesen Ratschlag an und erwarb dieses Wertpapier im Mai 2006. Im Oktober 2007 stand es noch bei 98% des ursprünglichen Kurses. Der Verkaufskurs dieses Papiers fiel jedoch im Zuge der Finanzkrise dramatisch ab. Der Kläger verlangte nunmehr von der Bank Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung, nämlich Rückzahlung der Einlagesumme und Ersatz der Verzinsung, die er erhalten hätte, wenn ihm eine geeignete Anlage empfohlen worden wäre.

Wie hat das Gericht entschieden? Die Klage blieb in beiden Instanzen erfolglos. Das OLG München begründete die Abweisung der Klage insbesondere mit folgenden Überlegungen:

(1)   Der Kläger habe ausdrücklich eine kurzfristige Kapitalanlage gewünscht. Unter diesen Umständen, so heißt es im Urteil wörtlich, erscheine es „mindestens zweitrangig, ob die Restlaufzeit 7, 70 oder 700 Jahre betragen hat.“ Darauf habe die Bank im Beratungsgespräch nicht hinweisen müssen; denn bis zum Ende der vorgesehenen Laufzeit habe der Kläger die Anleihe ohnehin nicht halten wollen.

(2)   Da der Kläger selbst den Wunsch nach einer kurzfristigen Geldanlage geäußert habe, wäre es an ihm gelegen, die Anleihe alsbald zu veräußern; immerhin sei der Kurs noch im Oktober 2007, also 1½ Jahre nach dem Kauf (und damit schon nicht mehr kurzfristig) bei 98% gestanden. Statt dessen habe der Kläger die Anleihe aber nicht veräußert. Er habe statt dessen auf steigende Kurse spekuliert und sich dadurch von den Absprachen, die er mit der Bank im Beratungsgespräch getroffen habe, eigenmächtig entfernt. Das Gericht spricht insoweit von einem „beratungswidrigen Gebrauch“ des Wertpapiers. Wenn nun der Kläger in dieser Weise spekuliere, müsse ihm klar sein, daß er dies auf eigenes Risiko tue: Da nun der Kurs des Papiers nicht gestiegen, sondern weiter gefallen sei, sei der Kläger für den Schaden, den er erlitten habe, ganz allein selbst verantwortlich – dies um so mehr, als ein Mitarbeiter der Bank ihm noch im Oktober 2007 geraten habe, die Anleihe zu verkaufen.

Das Berufungsverfahren, das zu diesem Urteil führte, hatte dabei den folgenden Verlauf genommen: Der Vorsitzende Richter hatte zunächst am 25. 5. 2009 einen rechtlichen Hinweis gegeben. Darin hatte es wörtlich folgendes festgehalten: „Andererseits fehlt jede Dokumentation über die Beratung. Das Papier ist für eine befristete Anlage m. E. nicht geeignet“. Der Vorsitzende Richter schlug einen Vergleich (also eine gütliche Einigung) vor: Die Bank sollte die Anleihe zurücknehmen und dem Kläger 72.000 Euro zahlen. In einem weiteren Gerichtsbeschluß vom 24. 9. 2009 hieß es dann plötzlich, daß die Berufung keine Aussicht auf Erfolg habe; es sei „nicht ersichtlich“, daß das Papier für die Belange des Klägers ungeeignet gewesen wäre. Dem Kläger werde daher „dringend angeraten“, auf das Angebot der Bank, die Anleihe für 4.000 Euro zurückzunehmen, einzugehen. Der Anwalt des Klägers befragte den Vorsitzenden Richter telefonisch nach den Gründen für diesen Sinneswandel und bekam nach seiner glaubhaften Darstellung zur Antwort, mehr als 4.000 Euro sei die Bank nicht bereit, dem Kläger zu zahlen.

Warum ist das Urteil rechtlich fehlerhaft? Das Urteil zeugt im Punkt (1) von bemerkenswerter bankwirtschaftlicher Unkenntnis und läßt außerdem im Punkt (2) die Auseinandersetzung mit der bereits vorhandenen Rechtsprechung und mit der einschlägigen Fachliteratur vermissen. Im einzelnen:

(1)   Das Gericht hat es versäumt, zwischen „kurzfristigen“ Kapitalanlagen einerseits und „liquiden“ Kapitalanlagen andererseits zu unterscheiden.

(a)   Wenn jemand eine „kurzfristige“ Kapitalanlage zeichnen möchte, darf die Bank ihm nur zu solchen Anlagen raten, die auch tatsächlich als „kurzfristig“ bezeichnet werden können. „Kurzfristig“ heißt: Die Anlage muß so beschaffen sein, daß der Anleger sich sein Geld innerhalb kurzer Zeit (maximal drei Monaten) wieder auszahlen lassen kann – und zwar vom Emittenten des betreffenden Wertpapiers, von demjenigen also, der das Wertpapier herausgegeben hat und bei dem der Anleger sein Geld vorher eingezahlt hat.

(b)   Im hier gegebenen Fall wäre die Unternehmensanleihe also dann „kurzfristig“ gewesen, wenn das Unternehmen, dem der Kläger sein Geld zur Verfügung gestellt hat, auf Verlangen des Klägers verpflichtet gewesen wäre, dieses Geld wieder auszuzahlen. Genau das war aber nicht der Fall: Die Anleihe konnte frühestens nach sieben Jahren gekündigt werden – und das auch nicht vom Anleger (also vom Kläger) selbst, sondern nur von dem Unternehmen, in das der Kläger sein Geld eingezahlt hatte.

(c)   Das Gericht hat gleichwohl gemeint, die Anlage, welche die Bank dem Kläger empfohlen habe, sei für den Kläger geeignet gewesen. Denn der Kläger habe die Anlage jederzeit verkaufen können. Hätte er dies getan, so hätte er das Geld, das er angelegt habe, auf diesem Weg wieder zurückbekommen. Mit dieser Begründung läßt sich jedoch eine Unternehmensanleihe nicht als „kurzfristige“ Kapitalanlage einordnen. Wenn der Kläger die Anleihe jederzeit verkaufen konnte, so bedeutete dies nur, daß die Kapitalanlage liquide war, nicht aber, daß es sich um eine kurzfristige Kapitalanlage handelte. Liquide ist eine Anlage so lange, als es einen Markt gibt, auf dem man sie verkaufen und auf diese Weise wieder zu seinem Geld kommen kann (sog. Sekundärmarkt). Die Anleihe, die der Kläger im hier gegebenen Fall gezeichnet hatte, war gewiß zum damaligen Zeitpunkt liquide. Aber sie war eben nicht schon deshalb auch kurzfristig und eignete sich daher auch nicht für die Bedürfnisse eines Kunden, der sein Geld kurzfristig anlegen wollte.

(d)  Aus der Verwechslung von „kurzfristigen“ und „liquiden“ Kapitalanlagen hat nun das Gericht einen fatalen Fehlschluß gezogen: Es ist der Ansicht, der Kläger habe die Anleihe ohnehin nur kurzfristig halten wollen; daher sei es zweitrangig, ob die Laufzeit 7, 70 oder 700 Jahre betragen habe. Selbst wenn die Unternehmensanleihe also erst mit einer Frist von 700 (!) Jahren hätte gekündigt werden können, wäre das Gericht immer noch der Meinung gewesen, die Anleihe könne einem Kapitalanleger als „kurzfristige“ Anlage empfohlen werden. Diese Sichtweise ist eindeutig nicht haltbar.

(2)   Kaum besser ist es um die Ansicht des Gerichts bestellt, der Kläger sei für den Schaden, den er erlitten habe, selbst verantwortlich. Zur Begründung bietet das Gericht das Argument an, der Kläger habe gesehen, daß die Kurse im Sinken begriffen waren, und hätte daher die Anleihe zur Vermeidung eines weiteren Kursverlustes verkaufen müssen, zumal ihm von der Bank ausdrücklich dazu geraten worden sei. Diese Meinung hätte das Gericht nicht vertreten dürfen, ohne sich zuvor wenigstens mit der gegenteiligen Ansicht in Rechtsprechung und juristischer Fachliteratur auseinanderzusetzen. Denn dort wird mit einleuchtenden Argumenten vorgetragen, daß der Kapitalanleger, der aufgrund einer fehlerhaften Beratung falsch investiert hat, nicht dafür sorgen muß, das Wertpapier, das er gekauft hat, wieder abzustoßen[1]:

(a)    Wenn jemand falsch beraten wurde und aufgrund dieser Beratung ein bestimmtes (für ihn nicht geeignetes) Wertpapier gekauft hat, ist er meistens nicht der einzige. Wenn man nun von dem einzelnen Anleger verlangen würde, das unrentable Papier wieder zu verkaufen, müßte man das gleiche auch von jedem anderen Anleger erwarten. Wenn aber alle Anleger das betreffende Wertpapier zum Verkauf anböten, würde der Kurs dieses Papiers ins Bodenlose fallen. Der Schaden, den der einzelne Anleger infolge der fehlerhaften Beratung erleiden würde, wäre dann nicht geringer, sondern noch viel größer[2].

(b)   Niemand kann vorhersagen, wie sich die Kurse zukünftig entwickeln werden; es kann jederzeit passieren, daß es wieder aufwärts geht. Der Anleger kann aber, wenn überhaupt, nur dann gehalten sein, das Papier wieder abzustoßen, wenn zu befürchten steht, daß der Kurs sich in Zukunft dauerhaft nach unten bewegen oder zumindest stagnieren wird. Wenn man also vom Anleger erwartet, das (für ihn nicht geeignete Wertpapier) zu verkaufen, verlangt man ihm ab, eine Prognose zu treffen: Man verlangt ihm ab, vorherzusehen, ob der Kurs des Papiers in Zukunft steigen oder fallen wird. Zu einer solchen Prognose wird der Anleger aber aus eigener Kraft kaum in der Lage sein[3 ]. Wäre er dazu in der Lage, so hätte er sich von vornherein niemals an eine Bank gewandt und um Beratung gebeten, sondern hätte sich gleich ohne jeden Ratschlag von außen am Kapitalmarkt Wertpapiere angeschafft. Mit anderen Worten: Wenn eine Bank ihren Kunden falsch beraten und dadurch in eine solch prekäre Situation gebracht hat, darf sie nicht von jenem Kunden erwarten, daß er diese Situation aus eigener Kraft meistern kann[4]. Es hätte schließlich auch der umgekehrte Fall eintreten können: Es hätte passieren können, daß der Kläger das Papier zu 98% veräußerte und der Kurs später gestiegen wäre. Dann hätte ihm die Bank gerade umgekehrt argumentiert: Dann hätte sie dem Kläger nämlich vorgeworfen, das Papier überhastet verkauft und dadurch den Schaden verstärkt zu haben.[5] Was der Kläger auch machte, ob er  nun verkaufte oder nicht – es konnte alles nach hinten losgehen. Dann darf man ihm aber keinen Vorwurf daraus machen, daß er nicht verkauft hat.

(c)    Nun hatte allerdings im hier gegebenen Fall die Bank dem Kläger ausdrücklich geraten, die perpetuals an der Börse zu verkaufen. Doch fragt sich, ob der Kunde, der einmal von der Bank falsch beraten wurde, ausgerechnet dieser Bank Vertrauen entgegenbringen muß, wenn sie ihm Ratschläge zur Schadensminderung erteilt. Man muß diese Frage verneinen. Denn der Bank geht es in dieser Situation nicht darum, den Vorteil des Kunden (hier: des Klägers) zu mehren, sondern nur darum, ihre eigene Schadensersatzpflicht abzuwenden, also gewissermaßen den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Aus diesem Grund führt es auch in die Irre, wenn das OLG München im hier gegebenen Fall dem Kläger vorwirft, er habe sich „beratungswidrig“ verhalten: Der „Rat“, die Wertpapiere zu verkaufen, war nicht das Ergebnis einer „Beratung“. Denn das Ziel einer (Anlage-)„Beratung“ besteht darin, die Bedürfnisse des Kunden zu ermitteln und herauszufinden, welche Anlagestrategie diesen Bedürfnissen am besten gerecht wird. Im vorliegenden Fall war aber die Empfehlung der Bank an den Kläger, die Papiere zu verkaufen, gerade nicht von dem Ziel getragen, die Interessen ihres Kunden (nämlich des Klägers) optimal zu verwirklichen. Vielmehr ging es allein um die eigenen Interessen der Bank, die angesichts der Tatsache, daß sie den Kläger zuvor falsch beraten hatte, um Schadensbegrenzung bemüht war. Schon deshalb mußte der Kläger dieser Empfehlung der Bank kein Vertrauen entgegenbringen.

(d)   Im übrigen hatte der Kläger auch keinen Anlaß, das perpetual mit Verlust zu verkaufen; denn er ging zu diesem Zeitpunkt immer noch davon aus, er werde nach 7 Jahren den eingelegten Betrag zu 100% von der Emittentin zurückbekommen. Die Bank hatte den Kläger zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen, daß dies nicht der Fall ist. Insoweit hatte sie ihr eigenes Fehlverhalten nicht einmal ansatzweise korrigiert.

(e)    Wenn jemand ein Wertpapier angeschafft hat, das für die eigenen Bedürfnisse ungeeignet ist, wird er es oft gar nicht guten Gewissens verkaufen können. Denn das Risiko ist groß, daß es für den, der es kauft, ebenfalls ungeeignet ist. Wenn man also den geschädigten Anleger für verpflichtet hält, das Wertpapier, das er als Folge einer falschen Beratung angeschafft hat, weiterzuverkaufen, zwingt man ihn, das wirtschaftliche Risiko, das mit dem Papier verbunden ist, weiterzugeben[6]. Dann hat zwar nicht mehr der falsch beratene Anleger, möglicherweise aber jemand anders den Ärger mit diesem Papier – das kann keine zufriedenstellende Lösung sein.

Über alle diese Überlegungen setzt sich das Gericht im hier gegebenen Fall hinweg, ohne überhaupt auch nur mit einem Wort hierauf einzugehen.

Warum ist das Urteil eine krasse Fehlentscheidung? Der Fall zeigt sehr anschaulich, wodurch sich ein „einfaches“ Fehlurteil von einer krassen Fehlentscheidung unterscheidet. Denn das Urteil des OLG München ist nicht schon deshalb ein krasses Fehlurteil, weil das Gericht dem Kläger vorgeworfen hat, er habe das Papier entgegen dem Ratschlag der Bank nicht zeitnah verkauft (sogleich 1.). Es ist aber deshalb ein krasses Fehlurteil, weil das Gericht eine eindeutig langfristige Anlage als kurzfristig angesehen hat (sodann 2.)

(1)   Wie oben bereits ausführlich begründet wurde, kann die Ansicht des OLG München, der Kläger hätte den Rat der Bank befolgen und das perpetual wieder verkaufen sollen, in keiner Weise überzeugen. Und dennoch handelt es sich nicht um eine krasse Fehlentscheidung. Das Gericht vertritt hier eine Ansicht, die auch in der juristischen Fachliteratur vertreten wird[7], und versäumt es lediglich, sich mit den Gegenargumenten auseinanderzusetzen. Auch wenn die Urteilsbegründung viel zu wünschen übrig läßt – über die Rechtsansicht des Gerichts kann man im Ergebnis streiten.

(2)   Wenn eine Bank einem Kunden, der eine „kurzfristige“ Anlage wünscht, ein Wertpapier empfiehlt, das, wenn überhaupt, erst nach mehreren Jahren ausgezahlt wird, handelt es sich um eine eindeutige Falschberatung. Und gerade die hier in Rede stehenden, ewig laufenden Unternehmensanleihen ( perpetuals) sind für einen kurzfristigen Anlagehorizont so eindeutig ungeeignet, daß der Schluß gerechtfertigt erscheint: Die Bank hat im vorliegenden Fall den Kläger schlicht um sein Geld betrogen. Es wäre in dieser Situation die Aufgabe des Gerichts gewesen, dies mit deutlichen Worten klarzustellen. Statt dessen läßt das Gericht es zu, daß die Bank die Früchte ihres unredlichen Verhaltens behalten darf. Noch merkwürdiger mutet das Verfahren an, das zu dem Urteil führte: Das Gericht hatte ursprünglich erkannt, daß der Kläger falsch beraten worden war, und hat sich ohne einleuchtenden Grund von dieser Einsicht wieder verabschiedet. Einen Vergleich über 4.000 Euro vorzuschlagen mit dem Argument, mehr sei die Bank nicht zu geben bereit, spricht der Funktion einer gütlichen Einigung Hohn: Wenn ein Prozeß durch eine solche Einigung beendet wird, dann heißt dies, daß beide Seiten Federn lassen müssen; das Gesetz spricht in § 779 BGB von „gegenseitigem Nachgeben“. Dann kann das Gericht nicht ernstlich einen Vergleich empfehlen, der eindeutig nur die Interessen der einen Seite (hier: der Bank) berücksichtigt, und dies auch noch mit der Begründung, die Bank sei zu weiteren Zugeständnissen nicht bereit. Aus diesen Gründen handelt es sich um eine krasse Fehlentscheidung: Hier ist im Namen des Volkes grobes Unrecht gesprochen worden.

ANONYMISIERTE ORIGNIALENTSCHEIDUNG DES  OLG MÜNCHEN


[1] LG Münster BKR 2003, 762, 764; Münchener Kommentar BGB/Oetker, BGB, 5. Aufl. 2007, § 254 Rn. 104; Palandt/Grüneberg, BGB. 68. Aufl. 2009, § 254 Rn. 47; Rothenhöfer, WM 2003, 2032 ff.; Fleischer/Kalss, AG 2002, 329, 334 f. 

[2] Fleischer/Kalss, AG 2002, 329, 335; Rothenhöfer, WM 2003, 2032, 2034.

[3] Fleischer/Kalss, AG 2002, 329, 335.

[4] Rothenhöfer, WM 2003, 2032, 2035.

[5] So die zutreffende Überlegung des LG Münster (BKR 2003, 762, 764) in einem vergleichbaren Fall.

[6] Fleischer/Kalss, AG 2002, 329, 335; Münchener Kommentar BGB/Oetker, BGB, 5. Aufl. 2007, § 254 Rn. 104.

[7] So hält Sittmann, NZG 1998, 490, 495 den falsch beratenen Anleger für verpflichtet, das Wertpapier wieder zu verkaufen, um den Schaden zu mindern.

16 Reaktionen zu “Kurzfristige Geldanlage mit langer Laufzeit ! – Anmerkung zu OLG München, Urteil vom 5. 10. 2009 – 19 U 2510/09”

  • Wertpapiere
    Am 25. April 2010 um 22:13 Uhr

Kurzfristig ist gut ;)

  • Leon
    Am 11. Mai 2010 um 03:12 Uhr

Die Qualifizierung dieses Urteils als „Skandalurteil“ wird von Ihrer Begründung in keiner Weise getragen.

Gegenstand der Beratungspflicht ist die vom Kl. gewünschte „kurzfristige“ Anlage. Was unter „kurzfristig“ zu verstehen ist, ist ja wohl Auslegungsfrage. Sie beschränken sich hierzu auf eine bankwirtschaftliche Lehrbuchaussage: „’Kurzfristig‘ heißt: Die Anlage muß so beschaffen sein, daß der Anleger sich sein Geld innerhalb kurzer Zeit (maximal drei Monaten) wieder auszahlen lassen kann – und zwar vom Emittenten des betreffenden Wertpapiers, von demjenigen also, der das Wertpapier herausgegeben hat und bei dem der Anleger sein Geld vorher eingezahlt hat.“ Offenbar – denn irgendein weiteres Wort zur Auslegung findet sich bei Ihnen nicht – wollen Sie damit behaupten, bei der Interpretation des Wortes „kurzfristig“ könne kein anderes Ergebnis herauskommen als das, was der bankwirtschaftlichen Lehrbuchdefinition entspricht. Dass dies das sein soll, was ein deutscher Lehrstuhlinhaber für eine anständige Auslegung hält, ist doch recht erstaunlich. Sie meinen offenbar im Ernst, ohne ein Wort der Begründung dafür auskommen zu können, warum eine jederzeit „liquide“ Anlage den Interessen eines „kurzfristig“ orientierten Anlegers nicht entspricht. Warum ist das so? Soll es gar nicht darauf ankommen, wie volatil die empfohlene Anlage war und wie hoch die Transaktionskosten? Was war hier nach den der Bank erkennbaren Vorstellungen des Kl. überhaupt in zeitlicher Hinsicht mit dem Begriff „kurzfristig“ gemeint – 30, 90, 180, 360 Tage? (Im konkreten Fall hatte der „kurzfristig“ orientierte Anleger die Papiere bis zur Bankenkrise offenbar über zwei Jahre lang gehalten.) In der Welt der Anlageprodukte gibt es vieles, was nicht unter Ihre Lehrbuchdefinition von „Kurzfristigkeit“ fällt, von Anlegern mit kurzfristigem Anlagehorizont aber sehr wohl als Anlageform akzeptiert wird.
Unabhängig davon, welches Ergebnis am Ende überzeugender begründbar ist: Ihr Umgang mit dem Auslegungsproblem ist jedenfalls keinen Deut sorgfältiger als der des OLG und, worauf es ankommt, für die Begründung eines „Skandalurteils“ in skandalösem Ausmaß ungeeignet. So leichtfertig darf seriöse Wissenschaft nicht mit einem derart gravierenden Verdikt umgehen!

Nebenbei: Zu kritisieren ist aus meiner Sicht auch, dass Sie – entgegen Ihrer Ankündigung unter „Das Forschungsprojekt“ – nicht wenigstens das Urteil des OLG, das Ihnen offenbar zugänglich ist, für sich selbst sprechen lassen (veröffentlicht ist es allem Anschein nach nicht). Füglich bezweifeln darf man schließlich, dass es irgendetwas mit seriöser Wissenschaft zu tun hat, sich bis hin zur Wiedergabe angeblicher gerichtlicher Äußerungen die Behauptungen einer Prozesspartei zu eigen zu machen, ohne der Gegenseite und dem Gericht Gehör zu gewähren.

  • Univ.-Prof. Dr. Martin Schwab
    Am 11. Mai 2010 um 17:23 Uhr

Sehr geehrte/r Einsender/in,

Da Sie mir vorwerfen, die Gesetze eines seriösen wissenschaftlichen Diskurses verletzt zu haben, muß ich erwidern: Das absolute Minimum eines seriösen Diskurses ist, daß die Partner dieses Diskurses sich namentlich zu erkennen geben. Ich erwarte daher von Ihnen, daß Sie Ihre persönliche Identität offenlegen. Vorher ist Ihre Eingabe im Prinzip keiner Antwort würdig.

Gleichwohl möchte ich in der Sache auf Ihre Einwände eingehen. Sie stellen meinen Umgang mit dem Begriff einer „kurzfristigen“ Anlage in Frage. Ich sehe indes keinen Anlaß, von meiner Position abzurücken. Wenn ein Bankkunde eine „kurzfristige“ Anlage wünscht und man ihm daraufhin ein Wertpapier andient, das er aus eigenem Antrieb gar nicht kündigen kann, werden damit die Bedürfnisse des Kunden eindeutig verfehlt – so eindeutig, daß dies auch einem Gericht im Haftungsprozeß nicht verborgen bleiben darf. Denn der Kunde ist dann, sobald er über den angelegten Geldbetrag verfügen möchte, auf Gedeih und Verderb davon abhängig, daß ihm jemand das Papier abkauft. In dieses Risiko darf der Anlageberater der Bank den Kunden, der eine „kurzfristige“ Anlage gewünscht hat, nicht hineintreiben. Diese Einschätzung ist nicht etwa von begriffsjuristischer Wortklauberei getragen, sondern versteht sich als – wie ich nach wie vor meine: zwingende – Ableitung aus der Interessenlage.

Sie werfen mir außerdem vor, ich hätte mir einseitige Parteiaussagen ungeprüft zu eigen gemacht. Auch das kann ich so nicht stehen lassen. Wenn ein Gericht binnen kurzer Zeit zuerst einen dem Anlagekunden (hier: dem Kläger) günstigen Vergleich vorschlägt in der offen geäußerten Erkenntnis, daß das Wertpapier, das man dem Kläger angedient hatte, für dessen Zwecke ungeeignet war, und sodann wenig später einen dem Kläger deutlich ungünstigeren Vergleich anregt, ohne den Sinneswandel in gleicher Weise offen zu begründen, ist die Folgerung erlaubt, daß da etwas nicht stimmt. Die Unregelmäßigkeit ist einem solchen Verfahren geradezu auf die Stirn geschrieben. In dieser Situation bewegt es sich innerhalb meines Einschätzungsspielraums als Wissenschaftler, wenn ich der Darstellung des Klägeranwalts Glauben schenke.
Das einzig Hilfreiche an Ihrer Eingabe ist die Anregung, die Gerichtsentscheidungen im Original zu veröffentlichen. Das greife ich gerne auf, kann es aber erst umsetzen, wenn es mir gelingt, an meinem Lehrstuhl die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen.

Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Martin Schwab

  • Rasmus
    Am 12. Mai 2010 um 16:54 Uhr

Meines Erachtens machen die vorstehenden Diskutanten genau den gleichen Fehler, der bei den Gerichten so verbreitet ist und zu Fehl- oder gar Skandalurteilen führt, nämlich die Verwechslung von Aufklärung und Auslegung. Wenn eine Partei einen Begriff wie hier „kurzfristig“ in das Verfahren einführt, verbinden die Leser (Gericht, Gegenpartei und Rezensenten) damit bestimmte Vorstellungen, die durchaus voneinander abweichen können und oft nicht mit dem von der Partei Gemeinten übereinstimmen. Idealerweise sollten sich die Beteiligten, insbesondere das Gericht dessen bewusst sein, dies erkennen und Aufklärung betreiben § 139 ZPO. Das wäre schön, macht aber viel Arbeit und wird daher von den Gerichten oft gescheut (und ist Rezensenten natürlich nicht möglich). Und zwar besonders dann, wenn so ein tatsächlicher Dissens herauskommt, der möglicherweise sogar auf eine Beweisaufnahme hinausläuft, die dann noch mehr Arbeit macht. Da ist es einfacher, formal übereinstimmenden Parteivortrag einfach im Sinne des eigenen Verständnisses so „auszulegen“, dass es zu einem kurzen Prozess kommt, der dem tatsächlichen Sachverhalt nicht gerecht wird. Geschieht das bewusst, kommt dabei ein Skandalurteil heraus. Häufiger geschieht es unbewusst, dass ein Gericht bei bestimmten Begriffen „in eine Schublade fällt“ und nicht wieder herauskommt. Das ist dann kein Skandal, sondern ein schlechtes Urteil.

Es kommt daher nicht darauf an, den Begriff kurzfristig „auszulegen“, denn das ist nur bei unklaren Sachverhaltsschilderungen im Studium erlaubt, sondern aufzuklären, welche konkreten Vorstellung der Kläger mit diesem Begriff verbunden hat. Das hat offensichtlich weder die Bank, noch das Gericht getan. Wenn der Kläger (zugegebenermaßen wenig wahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen) kurzfristig Chancen auf hohe Zinsen und Kursgewinne wollte und dafür das Risiko hoher Kursverluste einzugehen bereit war, hätte die Bank möglicherweise nicht von vornherein falsch beraten. Prozessual hätte die Bank eine geschickte Einlassung des Klägers zu seiner ursprünglichen Vorstellung mangels eigener Aufklärung dieser nicht widerlegen können und – die geschickte Einlassung unterstellt – verlieren müssen. Daher ist das Urteil tatsächlich mit hoher Wahrscheinlichkeit falsch. Aber der Skandal des Vergleichsvorschlags wird dadurch relativiert, dass das Gericht den Hintergrund offengelegt hat.

Ob ein Diskurs unseriös ist, sollte nicht von der Identität der Diskutanten, sondern von der Sachlichkeit der Beiträge und der Güte der Argumente beurteilt werden. Vielleicht werden Beiträge sogar unvoreingenommener bewertet, wenn man nicht weiss, ob sie von einem Verfassungsrichter oder einem Erstsemester kommen.

  • Dante
    Am 27. Juli 2010 um 14:43 Uhr

Also ich kann mich Leon in der Krtik nur anschließen, wenn auch vielleicht nicht im Ton.

Knackpunkt ist die Frage, was unter einer kurzfristigen Geldanlage zu verstehen ist. Sie sehen das sehr akademisch, indem sie nur die bankwirtschaftliche Definition gelten lassen. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger aber eine solche im bankwirtschaftlichen Sinne kurzfristige Geldanlage wollte, liefern sie keine.

M.E. ist nach dem Wortsinne und dem allgemeinen Sprachgebrauch jede Geldanlage kurzfristig, die in kurzer Zeit wieder aufgelöst, also in Geld umgetauscht werden kann. Das ist bei börsengehandelten Papieren stets der Fall, es sei denn es handelt sich um Papiere, die zwar notiert, in der Praxis aber selten bis gar nicht gehandelt werden. Dieser Ausnahmefall scheint aber hier nicht gegeben gewesen zu sein.

Folgt man Ihrer Auslegung, Herr Prof. Schwab, wäre eine kurzfristige Anlage in Aktien nicht möglich, da es sich bei Aktien ihrer Natur nach um unbefristete Unternehmenbsbeteiligungen handelt. Das gleiche gilt für Optionsscheine, die regelmäßig eine Laufzeit von mehreren Jahrne haben. Gleichwohl werden beide Arten börsennotierter Papiere ständig kurzfristig erworben und verkauft. Bis vor einigen Jahren war sogar das Steuerreicht extra darauf ausgerichtet, mit der sogenannten Spekulationsfrist.

Ihre Annahme börsengehandelte, ihrer Natur nach aber letztlich unbefristete Anlagepapiere seien stets eine ungeeignete Anlageempfehlung wenn eine kurzfristige Anlage gewünscht wird, ist daher meines Erachtens nicht haltbar. Das Verdikt des Skandalurteils trägt es erst recht nicht.

Soweit sie ferner schreiben, zum Zeitpunkt der Verkaufsempfehlung sei es der Bank offensichtlich nur darum gegangen, das eigene Haftungsrisiko zu minimieren, fehlt mir hierzu auch die Mitteilung von Tatsachen, die dieses Urteil tragen. Woraus folgt dieser (kühne) Schluss? Es ging ja, wenn ich den Sachverhalt richtig verstehe, um eine Situation, in der es erste Zweifel an der dauerhaften Solidität des Emittenten gab, die sich in leichten Kursverlusten der Papiere zeigten. Von einem bevorstehenden „Default“ kann aber angesichts des Kursniveaus von 98% noch lange keine Rede gewesen sein. Die Verkaufsempfehlung der Bank scheint mir daher doch im Hinblick auf die entstehenden Zweifel sinnvoll gewesen zu sein. Eine einseitige Wahrnehmung eigener Interessen vermag ich nicht zu erblicken.

Was das Zustandekommen der Entscheidung angeht, teile ich Ihre Ansicht ebenfalls nicht. Es ist doch der Normalfall, dass ein Gericht im Rahmen von Vergleichsgesprächen seine vorläufige Rechtsansicht mitteilt. Die Betonung liegt hier auf vorläufig. Es ist das Recht und die Pflicht des Gerichts, diese Rechtsansicht auf weiteres Vorbringen der Parteien oder eigener Erkenntnis zu überdenken. Genau dies scheint hier passiert zu sein. Offensichtlich teilte man zunächst aufgrund der nicht alltäglichen Natur der Papiere Ihre Rechtsansicht, besann sich dann aber im Hinblick auf die jederzeitige Verkaufbarkeit über die Börse eines Besseren. Da gibt es letztlich nichts dran auszusetzen.

Soweit sie schließlich bei Leon kritisieren, dass er nur anonym kritisiert, kann ich nur darauf verweisen, dass Sie damit leben werden müssen, wenn Sie Diskussionen im Internet führen wollen.

Ich selbst bin bspw. Richter, wenn auch in einem ganz anderen Bundesland als dem, in dem der Ausgangsfall spielte. Ich werde den Teufel tun und hier googelbar Rechtsansichten unter Klarnamen veröffentlichen. Schon allein um obstruktiven Befangenheitsanträgen in zukünftigen Verfahren nicht Tür und Tor zu öffnen.

  • Michael
    Am 3. August 2010 um 18:03 Uhr

Sehr geehrter Herr Schwab,

zuerst will ich anmerken das ich das Projekt sehr sinnvoll finde. Dennoch möchte ich ihre Ausführungen, auch bezüglich der Meinungen, kommentieren.

Meiner Ansicht nach handelt es sich tatsächlich um eine Falschberatung. Aber in wie fern aber diese Transaktion dazu diente den Kunden tatsächlich zu betrügen, lässt sich aus den vorliegenden Informationen nicht erschließen. Daher halte ich diese Aussage zumindest für fragwürdig, da keine Beweise gegen Fahrlässigkeit und für Vorsatz gebracht wurden (bspw. das Motiv).

Zusätzlich muss ich dem Kommentator Leon Recht geben. In wie fern die gängige Definition von „kurzfristigen Anlagen“ hier mit den Wünschen des Kunden übereinstimmte ist nicht festzustellen, da nicht per se davon ausgegangen werden kann und darf, dass die vor Gericht getroffenen Aussagen tatsächlich der damaligen Situation entsprechen. Zu Groß ist das Risiko dass eine Partei die Wahrheit anpasst um ihre Gewinnchancen zu erhöhen. Die Diskrepanz zwischen der gängigen Definition für kurzfristige Anlagen und dem Halten der betreffenden Anlage ist schon signifikant (3 Monate zu 1,5 Jahre).

Daher ist es für das Gericht legitim, auch eine Teilschuld bei dem Kläger zu untersuchen. Daher stellt sich, für die Bemessung eines fremdverschuldeten Schadens, die Frage wie hoch die Teilschuld des Klägers ist.
In dieser Situation sehe ich mehrere Möglichkeiten.

1.) Er hat seinen Anlagehorizont, aus ungenannten Gründen, über das gängige „kurzfristig“ verlängert. Hätte er die Anlage zu einem früheren Zeitpunkt verkauft wäre der Schaden geringer gewesen. Daher wäre der Schaden durch die Falschberatung nur diese Differenz. Dann wäre auch, zumindest zu einem Teil, ein Abweichen von der Beratung festzustellen, wie das Gericht schon anmerkte.

2.) Er hat der Verkaufsempfehlung der Bank nicht getraut, da ihm die Fehlberatung bewusst war. Dann hätte er das Papier zu dem Zeitpunkt abstoßen (Verkauf oder Rückabwicklung) müssen, zu dem ihm die Fehlberatung bewusst geworden. Andernfalls liegt die Vermutung nahe dass er das Risiko der Anlage auf die Bank abwälzen wollte, einen möglichen Gewinn jedoch einbehalten wollte. Dabei ist es auch unerheblich dass die Verkaufsempfehlung eine Schadensminimierung ist. Gerade dies liegt in beiderseitigem Interesse, da eine nachträgliche Regulierung des Schadens für beide beteiligte leichter möglich gewesen wäre. Die Schadenssumme wäre geringer gewesen und die Verhandlungen hätten eventuell vermieden werden können. Dies wurde durch die Ablehnung der Verkaufsempfehlung jedoch verhindert. Diese Differenz könnte also als Teilschuld angesehen werden. Dabei ist es auch unerheblich ob der Kurs durch den massenhaften Verkauf, ausgelöst durch gleichgelagerte Beratungsfehler, gesunken wäre. Dieser Umstand ist unbewiesen. Ausschlaggebend für den Fall ist das theoretisch betroffene Volumen über das keine Informationen vorhanden sind. Dieser Schaden wäre dann der Fehlberatung und der Schadensbegrenzung zuzurechnen. Zusätzlich ist nicht anzunehmen dass das privat gehandelten und falsch beratene Volumen einen signifikanten Einfluss hat. Die größten Handelsvolumina dürften institutionelle Anleger haben.

3.) Er hatte grundsätzlich Anlagehorizont der nicht der gängigen Definition von Kurzfristigkeit entsprach, wie von Leon angesprochen. Dann entscheidet sich jedoch dieser Fall nicht danach ob ihm ein falscher Anlagehorizont empfohlen wurde, sondern daran ob ihm eine falsche Risikoklasse empfohlen wurde. War sein Anlagehorizont von Anfang an länger als 1,5 Jahre wäre der Schaden eindeutig an der Differenz der gewünschten Risikokategorie zur tatsächlichen Risikokategorie zu bemessen. Aufschluss dazu kann jedoch nur das (nicht existierende) Beratungsprotokoll geben.

Ob das Urteil aus rechtlicher sicht tatsächlich ein krasses Fehlurteil ist, möchte ich abschließend nicht bewerten. Dazu fehlt mir die juristische Ausbildung.
Bedauerlicherweise scheint mir aber eine Einflussnahme der Bank auf die Gerichtsbarkeit zu existieren.

Nichts desto weniger muss ich leider wieder meinem Vorredner Leon Recht geben. Ein guter Wissenschaftler macht sich keine fremden Meinungen zu eigen sondern stützt sich nur auf belastbare Fakten. Denn auch wenn eine Seite offensichtlich Unregelmäßigkeiten aufweist bedeutet dies im Umkehrschluss nicht, dass die Gegenseite nicht auch Unregelmäßigkeiten aufweist. Auch wenn diese eventuell nicht offensichtlich sind.

Um Ausführungen bezüglich meiner Identität vorzubeugen: Relevant für die Diskussion sind die Fakten und ggf. eine Meinung, nicht die zugehörige Person. Es gibt zu viele Menschen, die an anderen Meinungen Anstoß nehmen, so dass ich meine Meinung lieber anonym kundtun möchte.

Mit freundlichem Gruß
Michael

  • Rasmus
    Am 21. September 2010 um 14:08 Uhr

Die Bankberatung war kritikwürdig, weil offenkundig nicht ermittelt wurde, was der Kunde mit einer kurzfristigen Anlage meinte. Das Urteil ist kritikwürdig, weil das Gericht entgegen § 139 I 2 ZPO nicht aufgeklärt hat, was der Kunde mit einer kurzfristigen Anlage meinte. Der Anwalt des Kunden hätte den Prozess gewinnen können, wenn er vorgetragen hätte, dass der Kunde damit eine liquide Anlage ohne jedes Kursrisiko meinte. Das ist ein „perpetual“ in der Tat nicht. Wenn der Kunde allerdings nach Aufklärung bereit war, für höhere Zinsen und kurzfristige Kurschancen auch kurzfristige Kursrisiken in Kauf zu nehmen, hat er zu Recht verloren. Die Bewertung durch Prof. Schwab ist kritikwürdig, weil er – genau wie das Gericht – seine eigene Vorstellung, was unter einer kurzfristigen Anlage zu verstehen ist, zu Grunde gelegt hat, obwohl es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die Vorstellung des Kunden ankam. Sie ist auch kritikwürdig, weil er meint, eine kurzfristige Anlage habe etwas mit einer Kündigungsmöglichkeit und der Frage zu tun, ob das Papier vom Emittenten zurückgenommen werden muss, oder nur an der Börse verkauft werden kann. Dass das unhaltbar ist, erkennt man unschwer, wenn man sich vorstellt, die Bank hätte dem Kunden Anteile an einem Fonds verkauft, der ausschließlich in Perpetuals investiert und die dieser die gleiche Entwicklung genommen hätte. Hier hätte der Kunde die Anteile jederzeit an den Emittenten zurückgeben können, aber im Ergebnis auch nur den Wert (zudem durch Verwaltungsgebühren und Ausgabeaufschlag gemindert) erhalten. Ich meine daher, dass die Kritik von leon vollkommen berechtigt ist. Und der Wert der Kritk von leon ist nicht von seiner Identität sondern von seinen Argumenten abhängig. M. E. kann man eine Argumentation sogar objektiver bewerten, wenn man nicht weiß, aus welcher Ecke (Prof. oder Erstsemester, Bank oder Verbraucherzentrale) sie kommt.

P.S. Wird hier zensiert? Ich hatte mich hier vor längerer Zeit schon einmal entsprechend kritisch geäußert und die Meldung erhalten, der Beitrag bedürfe noch einer Freigabe, die offenbar nicht erfolgte. Oder muss man das selbst nochmals irgendwie freigeben?

  • Univ.-Prof. Dr. Martin Schwab
    Am 29. Oktober 2010 um 17:32 Uhr

Sehr geehrter Einsender,

In einem Punkt haben Sie recht: Anonymität ist wohl tatsächlich der Standard im Internet. Gerade in Ihrem Fall sprechen dafür auch nachvollziehbare Gründe.

Die Ansicht des Gerichts, daß der Kläger sich beratungswidrig verhalten habe, habe ich zwar als nicht überzeugend kritisiert, nicht aber als skandalös gebrandmarkt. Man mag mit Ihnen daran zweifeln, ob die Bank mit dem an den Kläger erteilten Rat tatsächlich nur ihr Haftungsrisiko minimieren wollte. Aber dann muß man immer noch zugestehen, daß sich der Sachverhalt aus der Sicht des Klägers in eben dieser Weise darstellte, daß der Kläger also auf die Objektivität der Verkaufsempfehlung und auf deren Ausrichtung am Anlegerinteresse nicht vertrauen durfte. Dann kann es ihm nicht zum Mitverschulden gereichen, wenn er einer solchen Empfehlung nicht folgt.

An meiner Ansicht, daß es sich im Streitfall nicht um eine kurzfristige Anlage handelte und daß die gegenteilige Sicht des OLG München grob falsch ist, halte ich uneingeschränkt fest. Ich meine insbesondere, daß gerade der von Ihnen genannte Parallelfall der Investition in Aktien keine abweichende Würdigung indiziert. Wenn ich in Ihrem Sinne „kurzfristig“ in Aktien investiere – was bedeutet, daß ich den
Anlagebetrag nur dadurch wieder einlösen kann, daß ich die Aktien verkaufe -, schließe ich praktisch eine Wette auf steigende Kurse. Denn wenn die Kurse fallen, ist der Anlagebetrag nicht mehr realisierbar, und ich muß auf längerfristige Erholung der Kurse warten. Vor diesem Hintergrund taugen in der Tat auch Aktien nach
meinem Verständnis nicht als kurzfristige Kapitalanlage. Denn wenn jemand sich an die Bank mit der Bitte um eine kurzfristige Anlage wendet, ist damit aus dem verständigen Empfängerhorizont der Bank eine Anlage gemeint, bei der man wenigstens den angelegten Betrag sicher und außerdem binnen kurzer Frist wieder bekommt. Dafür, daß der Kläger im Streifall andere Bedürfnisse vorgetragen hat, war im Streitfall
nichts vorgetragen worden.

Mit freundlichen Grüßen

Martin Schwab

  • Univ.-Prof. Dr. Martin Schwab
    Am 29. Oktober 2010 um 17:39 Uhr

Sehr geehrter Einsender,

Über die Frage eines Mitverschuldens kann man – wie es ja auch in der juristischen Fachliteratur geschieht – füglich streiten. Sie sind in diesem Punkt anderer Meinung als ich und haben dafür anerkennenswerte Argumente vorgetragen. Ich möchte nur noch einmal wiederholen: Die Ansicht des Gerichts zur Frage, ob den Kläger ein Mitverschulden an dem erlittenen Schaden trifft, war für mich nicht Anlaß, das Urteil als Skandalurteil zu brandmarken. Ich habe nur darzulegen versucht, welche Gründe aus meiner Sicht gegen die Annahme eines solchen Mitverschuldens sprechen.

Natürlich muß man Aussagen einer Partei oder ihres Prozeßbevollmächtigten zum Verfahrensablauf kritisch hinterfragen. Aber man durfte nach meinem Eindruck gerade im hier gegebenen Fall die Frage stellen, wie es kommen konnte, da das Gericht – und zwar ohne daß hierfür ein Anlaß sichtbar gewesen wäre – innerhalb kurzer Zeit zu so gravierend unterschiedlichen rechtlichen Einschätzungen gelangt.

Mit freundlichen Grüßen

Martin Schwab

  • Univ.-Prof. Dr. Martin Schwab
    Am 30. Oktober 2010 um 11:16 Uhr

Sehr geehrter Einsender,

Hier wird nicht zensiert. Ich hatte nur wegen vieler anderer Aufgaben (ich bin seit April 2010 Dekan meines Fachbereichs) keine Zeit, mich zu einem früheren Zeitpunkt mit den eingegangenen Stellungnahmen zu befassen, und wollte die Einträge unserer Leser/innen immer sogleich mit meiner eigenen Antwort freischalten. Heute habe ich die Einträge abgearbeitet. Ihre erneute Eingabe hat sich mit dieser meiner Arbeit gekreuzt. In Zukunft werde ich meinen Ehrgeiz etwas zurücknehmen: Ich werde die Einträge künftig gleich freischalten und zu einem späteren Zeitpunkt antworten. Heute werden Sie auf unserer Webseite Ihre beiden Einträge mitsamt meinen Antworten lesen können.

Da Sie die Kundensicht (zu Recht!) in den Vordergrund rücken, möchte ich nur noch anmerken: Wenn jemand seine Bank aufsucht und um eine kurzfristige Kapitalanlage nachfragt, muß die Bank mangels abweichender Anhaltspunkte – die im Streitfall nicht vorgetragen waren – so verstehen, daß der Kunde sich die Option offenhalten möchte, möglichst bald und möglichst sicher wieder an sein Geld heranzukommen. Von dieser Interessenlage war meine Definition des Begriffs „kurzfristig“ geleitet – nicht von einer abstrakten und rein akademischen Sichtweise. Dem so verstandenen Kundenbedürfnis wurde die im Streitfall emittierte Anleihe eindeutig nicht gerecht.

Mit freundlichen Grüßen
Martin Schwab

  • malnachgefragt
    Am 8. Juni 2011 um 11:46 Uhr

@Prof. Schwab:
Im Ausgangsbeitrag schreiben Sie noch, das OLG setze sich nicht mit gegenteiligen Meinungen zu 254 auseinander. Jetzt sehen Sie in der Annahme des Mitverschuldens laut #9 einen „Skandal“. Liegt ein Skandal schon bei Vertreten einer bestimmten (begründbaren) Rechtsauffassung vor? Ich weise z.B. auf BGH XI ZR 197/01 hin. Genau dort wurde z.B. ein Mitverschulden bei Nichtveräußerung angenommen. Oder auch bei MüKo/Oetker 254 /Rn 103. Sind das auch „Skandalurteile“ oder Skandalautoren? Bislang hat man sich meist in der juristischen Auseinandersetzung mit anderen Meinungen damit begnügt, diese als „aA“ zu bezeichnen. Vielleicht schaffen Sie mit Ihrem Projekt aber jetzt aber einen neuen Trend zur Fußnoteneinleitung „skandalös hingegen:“

Auch Ihr Argument unter 2. a des Ausgangsbeitrags zieht in dieser Pauschalität nicht. Denn es würden ja nicht alle Anleger notveräußern und den Kurssturz herbeiführen, sondern nur die falsch beratenen.

  • Univ.-Prof. Dr. Martin Schwab
    Am 8. Juni 2011 um 17:43 Uhr

@malnachgefragt:

Wenn Sie meine Kommentierung der Entscheidung gründlich gelesen haben,
wird Ihnen gewiß aufgefallen sein, daß ich die Ausführungen des
Gerichts zum Mitverschulden des Anlegers ausdrücklich NICHT als
skandalös bezeichnet habe. Ich habe lediglich darzulegen versucht, warum
mich die Haltung des Gerichts zum Mitverschulden des Klägers nicht
Überzeugt.

Mit freundlichen Grüßen

Martin Schwab

  • malnachgefragt
    Am 9. Juni 2011 um 13:16 Uhr

Bin zerknirscht und bitte um Entschuldigung : hab das „nicht“ in Beitrag #9 überlesen.

  • Martin
    Am 4. Oktober 2011 um 09:17 Uhr

Guten Tag,

ich habe eine kleine Verständnisfrage zu Ihren Ausführungen Herr Schwab. Was definiert denn nun kurzfristig? Die Bankendefinition (ursprünglicher Beitrag), oder die Annahme, dass der Anleger sein Geld „sicher“ nach kurzer Frist zurückerhalten wolle (Beitrag 29.10.)?
Erstere Definition scheint bei Betrachtung der hitzigen Diskussion bestreitbar, aber jedenfalls zu vertreten.
Zweitere hingegen vermischt kurzfristig mit risikoarm. Risikoarm, also die Möglichkeit das Geld in voller Höhe zurück zu bekommen stellt aber kein, mir bekanntes, Merkmal der Kurzfristigkeit dar.
Das Paradebeispiel jeder Finanzierungsvorlesung zur Kurzfristigkeit ist die Pferdewette, welche nicht besonders Risikolos ist, aber der Ertrag direkt vom Emitenten zurückerstattet wird.
Sicherlich lässt sich konstatieren, dass eine solche Risikoberatung ebenfalls ein Fall der Falschberatung sein könne, aber keiner zur Frage der Anlagefrist.

Einer Kritik zur Führung der Diskussion möchte ich mich ausdrücklich enthalten, die besten Diskussionen werden hitzig geführt!

  • Univ.-Prof. Dr. Martin Schwab
    Am 11. April 2013 um 06:29 Uhr

Sehr geehrter Einsender,

In meiner Anmerkung zum Urteil des OLG München habe ich, wie ich denke, nicht die Kategorien „kurzfristig“ und „risikoarm“ verwechselt. Wie Sie selbst mit Recht schreiben, gibt es durchaus kurzfristige, aber riskante Anlagen. Vielleicht habe ich mich aber tatsächlich in meiner Erwiderung auf die vorherigen Diskussionsbeiträge mißverständlich ausgedrückt. Es geht nur darum, daß die Anlage darauf gerichtet ist, daß der Einlagebetrag – sofern sich nicht das Anlagerisiko verwirklicht – binnen kurzer Frist vom Emittenten zurückgezahlt wird.

Mit freundlichen Grüßen

Martin Schwab

  • Schulze
    Am 16. Februar 2015 um 18:18 Uhr

Die Haftung dem Grunde nach halte ich für so offensichtlich, dass mir insoweit die Bewertung als „krasse Fehlentscheidung“ richtig erscheint. Hinsichtlich des Schadens hat der Anleger m.E. den größeren Teil selbst zu verantworten; insoweit ist ja ohnehin nicht von einer krassen Fehlentscheidung die Rede.