Professor Dr. Martin Schwab
Schlamperei des Gerichtsvollziehers vom Gericht abgesegnet – AG Achern, Beschluß vom 5. 2. 2009 – M 1162/08
Der Gerichtsvollzieher hat die Aufgabe, fremde Forderungen
einzutreiben und dem Schuldner die verbindliche Erklärung abzunehmen,
daß bei ihm nichts zu holen ist. Es sollte selbstverständlich sein, daß
der Gerichtsvollzieher über die Gelder, die er vereinnahmt, Buch führt.
So steht es auch ausdrücklich in seiner Dienstvorschrift. Ebenso
selbstverständlich muß der Gerichtsvollzieher darauf hinwirken, daß die
Erklärung des Schuldners vollständig ist. Für eine unvollständige
Erklärung wird der Schuldner nämlich streng bestraft. Hier setzt sich
ein Gerichtsvollzieher über beides hinweg und kommt damit vor Gericht
durch.
Was ist passiert? Ein Unternehmer war mit fälligen
Zahlungen in Rückstand geraten. Einer seiner Gläubiger hatte daraufhin
die Zwangsvollstreckung eingeleitet. Der Gerichtsvollzieher forderte den
Unternehmer (im folgenden: Schuldner) zur Zahlung auf und kündigte an,
daß er anderenfalls Maßnahmen der Vollstreckung einleiten werde. Nachdem
innerhalb der Frist jedenfalls keine vollständige Zahlung geleistet
wurde, lud er den Schuldner daraufhin zur Abnahme der eidesstattlichen
Versicherung. Der Termin, an dem diese Versicherung abgegeben werden
sollte, fand tatsächlich statt, nämlich am 15. 10. 2008. Was in diesem
Termin genau passierte, ist unklar; der Schuldner und der
Gerichtsvollzieher berichteten insoweit unterschiedliche Versionen.
Jedenfalls hat der Schuldner ein Protokollformular unterschrieben, in
dem niedergelegt ist, daß er über die Abnahme einer eidesstattlichen
Versicherung belehrt wurde und diese abgegeben hat. Diese Belehrung soll
allerdings nach Angaben des Schuldners nur teilweise stattgefunden
haben; schon gar nicht will der Schuldner daraufhin die eidesstattliche
Versicherung abgelegt haben.
Das Gericht folgte jedoch im wesentlichen der gegenteiligen Darstellung des Gerichtsvollziehers. Nach dem gerichtlich festgestellten Sachverhalt ist das Geschehen wie folgt abgelaufen: Der Schuldner ist am 15. 10. 2008 vollständig belehrt worden. In diesem Termin hat der Gerichtsvollzieher sogar zusammen mit dem Schuldner damit begonnen, das Vermögensverzeichnis zu erstellen; dieses ist sodann in einem weiteren Termin fertiggestellt worden. Diesen weiteren Termin hält der Schuldner wiederum für frei erfunden; jener Termin habe nie stattgefunden. Der nachstehenden Kommentierung der Entscheidung wird – in Ermangelung der Möglichkeit einer eigenen Prüfung der Tatsachen – der gerichtlich festgestellte Sachverhalt zugrunde gelegt. Allerdings existiert ein auf den 23. 8. 2008 datiertes Dokument, das ein vollständiges Vermögensverzeichnis des Schuldners enthält, von diesem aber nicht unterschrieben worden ist. Dies spricht eher gegen die Annahme, daß ein weiterer Termin zur Fertigstellung des Vermögensverzeichnisses stattgefunden hat. Wäre nämlich das Verzeichnis im Beisein des Gerichtsvollziehers zu Ende ausgefüllt worden, hätte der Gerichtsvollzieher vermutlich auf die im Formular vorgesehene Unterschrift gedrungen.
Der Schuldner – gegen den in der jüngeren Vergangenheit noch zahlreiche weitere Vollstreckungen durchgeführt worden waren – schrieb daraufhin an den Direktor des Amtsgerichts, daß er sich über den Gerichtsvollzieher beschwere: Dieser sei erstens trotz entsprechender Aufforderung nicht bereit, ihm (dem Schuldner) einen Kontoauszug auszustellen, aus dem sich ergibt, welche Zahlungen er vom Schuldner empfangen und wie er sie den Gläubigern zugeteilt hat. Zweitens sei das Verfahren bei der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung nicht korrekt gelaufen: Eine solche Versicherung habe er nie abgegeben.
Wie hat das Gericht entschieden? Das Gericht hat diese Eingabe als eine sogenannte Erinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO behandelt. Die „Erinnerung“ im Sinne dieser Vorschrift ist ein Rechtsbehelf, mit dem man die Art und Weise der Zwangsvollstreckung generell sowie außerdem die Verletzung von Verfahrensvorschriften durch den Gerichtsvollzieher geltend machen kann.
Diese Erinnerung wies das Gericht zurück, und zwar in beiden Punkten: Aus dem Protokoll der eidesstattlichen Versicherung, das der Schuldner unterschrieben habe, ergebe sich eindeutig, daß dieser die eidesstattliche Versicherung abgegeben habe. Die gegenteilige Sachdarstellung durch den Schuldner sei nicht nachvollziehbar. Was den verlangten Kontoauszug anbelange, so sei zu beachten, daß gegen den Schuldner in den vergangenen Jahren zahlreiche Zwangsvollstreckungsverfahren anhängig gewesen seien. Dem Gerichtsvollzieher sei es „nicht möglich, quasi per Knopfdruck sämtliche Zahlungen des Schuldners und die von ihm ausgestellten Belege zur Verfügung zu stellen.“
Warum ist die Entscheidung rechtlich fehlerhaft? Um die Entscheidung rechtlich zu würdigen, müssen die beiden Punkte, über die sich der Schuldner beschwert hat, getrennt erörtert werden:
(1) Eidesstattliche Versicherung heißt im Zusammenhang mit der Zwangsvollstreckung, daß der Schuldner ein vollständiges Verzeichnis seines Vermögens vorzulegen und dessen Richtigkeit und Vollständigkeit an Eides Statt zu versichern hat. Der Schuldner muß also alles offenlegen, was er hat, und dann – sehr untechnisch gesprochen – schwören, daß er alles offengelegt habe. Diese eidesstattliche Versicherung – früher nannte man sie „Offenbarungseid“ – kann, wenn sie falsch oder unvollständig ist, gravierende Konsequenzen haben: Denn dann droht dem Schuldner nach § 156 StGB eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe. Zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ist der Schuldner unter den Voraussetzungen des § 807 ZPO verpflichtet – insbesondere dann, wenn es bei früheren Pfändungen nicht gelungen ist, die Forderung des Gläubigers vollständig zu bedienen. Die eidesstattliche Versicherung erfolgt nach § 807 Abs. 3 Satz 1 ZPO „zu Protokoll“.
(a) In der Tat existiert ein Protokoll, aus dem sich ergibt, daß der Schuldner über die Folgen der eidesstattlichen Versicherung belehrt wurde und diese abgegeben hat; dieses Protokoll ist vom Schuldner auch unterschrieben worden. Eines ist aber unstreitig: Sowohl der Gerichtsvollzieher als auch der Schuldner haben gewußt, daß die Auflistung der Vermögensgegenstände am Ende des Termins vom 15. 10. 2008 noch unvollständig geblieben war und der Ergänzung bedurfte. Dann aber durfte der Gerichtsvollzieher in diesem Termin die eidesstattliche Versicherung nicht abnehmen. Denn mit dieser bringt der Schuldner gerade zum Ausdruck, daß das vorgelegte Verzeichnis richtig und vollständig sei (so steht es ausdrücklich in § 807 Abs. 3 Satz 1 ZPO!). Diese Aussage konnte der Schuldner im Termin vom 15. 10. 2008 gar nicht machen, und der Gerichtsvollzieher hat dies auch gewußt. Indem der Gerichtsvollzieher dennoch die eidesstattliche Versicherung abgenommen hat, hat er mithin verfahrensfehlerhaft gehandelt. Eine eidesstattliche Versicherung des Inhalts „Ich versichere an Eides Statt, daß das Verzeichnis, das ich noch vorlegen werde, vollständig ist“, oder „Ich versichere an Eides Statt, daß das Verzeichnis, wenn es denn irgendwann einmal fertig ist, vollständig ist“, ergibt keinen Sinn. Sie darf dem Schuldner nicht abverlangt werden und hätte auch keinen rechtlich relevanten Inhalt.
(b) Gegen diese Würdigung spricht insbesondere nicht die Vorschrift des § 903 ZPO[1]. Nach § 903 ZPO kann der Gläubiger innerhalb der ersten drei Jahre nach Abgabe der eidesstattlichen Versicherung eine erneute eidesstattliche Versicherung verlangen, wenn er glaubhaft macht, daß der Schuldner später, d. h. nach erstmaliger Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, Vermögen hinzuerworben hat. Um es umgangssprachlich auszudrücken: Wenn der Gläubiger Wind davon bekommt, daß der Schuldner inzwischen zu neuen Reichtümern gelangt ist, kann er vom Schuldner verlangen, noch einmal „die Hosen herunterzulassen“, sprich: sich über den Bestand seines Vermögens erneut zu erklären. Diese Vorschrift darf also nicht dahin mißverstanden werden, daß die ursprüngliche eidesstattliche Versicherung bewußt unvollständig gelassen werden darf, weil der Gläubiger später immer noch Ergänzungen beantragen könne. § 903 ZPO liefert mit anderen Worten keinen Freibrief für eine lückenhafte eidesstattliche Versicherung. Vielmehr gilt: Erst hat der Gerichtsvollzieher sich vom Schuldner ein Vermögensverzeichnis vorlegen zu lassen, das jedenfalls nach Angaben des Schuldners vollständig ist. Dann darf (und muß) er die eidesstattliche Versicherung abnehmen.
(c) Die Verletzung des § 807 ZPO kann auch mit der Erinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO gerügt werden. Allerdings sieht § 900 Abs. 4 ZPO ein besonderes Verfahren für den Fall vor, daß der Schuldner seine Verpflichtung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung bestreitet. In diesem Fall entscheidet das Gericht, ob er diese Versicherung abgeben muß oder nicht. Dieses Verfahren findet aber nur statt, wenn der Schuldner der Meinung ist, er müsse sich überhaupt nicht über den Bestand seines Vermögens erklären. Hier war es aber so, daß der Schuldner überhaupt nicht bestritten hat, zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verpflichtet zu sein. Er hat nur geltend gemacht, er habe sich in diesem Termin nicht oder jedenfalls nicht vollständig erklären können. Wenn dann trotzdem die eidesstattliche Versicherung abgenommen wird, kann dies nach § 766 Abs. 1 ZPO als Verfahrensfehler gerügt werden.
(d) Damit erweist sich der Beschluß des Gerichts im ersten Punkt als fehlerhaft: Das Gericht hätte – selbst wenn man unterstellt, daß der Gerichtsvollzieher das tatsächliche Geschehen richtig dargestellt hat – der Erinnerung des Schuldners stattgeben müssen. Es hätte aussprechen müssen, daß der Gerichtsvollzieher nicht berechtigt war, im Termin vom 15. 10. 2008 die eidesstattliche Versicherung des Schuldners abzunehmen, und daß die gleichwohl abgegebene Versicherung rechtlich unbeachtlich ist.
(2) Zu der Aussage, dem Gerichtsvollzieher sei es „nicht möglich, quasi per Knopfdruck sämtliche Zahlungen des Schuldners und die von ihm ausgestellten Belege zur Verfügung zu stellen“, konnte das Amtsgericht nur auf der – freilich nirgends ausdrücklich ausgesprochenen – Prämisse gelangen, daß ein Gerichtsvollzieher über seine Zahlungsein- und -ausgänge nicht Buch zu führen braucht. Denn wenn der Gerichtsvollzieher hierüber Buch führt, ist er auch in der Lage, dem Schuldner darüber Auskunft zu geben, wann er welche Zahlung von ihm bekommen und was er damit gemacht hat.
(a) Der Gerichtsvollzieher verwaltet Gelder, die ihm nicht gehören. Er muß daher jederzeit ohne Schwierigkeiten in der Lage sein, dem Schuldner zu erklären, welche Zahlungen er von ihm empfangen und wohin er sie weitergeleitet hat. Eben dies ist auch in den Dienstvorschriften für Gerichtsvollzieher gesetzlich niedergelegt, nämlich in der Gerichtsvollzieherordnung (GVO): In § 69 GVO ist detailliert geregelt, daß und wie der Gerichtsvollzieher das sogenannte Kassenbuch zu führen hat.
(b) Das Gericht hat die Gerichtsvollzieherordnung als Ganzes schlicht übersehen. Hätte es diese Vorschrift erkannt, so hätte es weiter folgern müssen: Der Gerichtsvollzieher hat über die Zahlungen des Schuldners Buch zu führen. Er hat zu jedem Vollstreckungsvorgang die Belege über den Eingang der Zahlung bei ihm und über deren Auszahlung an den Gläubiger nach § 74 Nr. 5 GVO zu der Akte des jeweiligen Vollstreckungsvorgangs zu nehmen (= Sonderakte i. S. des § 57 GVO) und dem Schuldner nach § 60 Nr. 1 Satz 2 GVO auf dessen Kosten eine Abschrift dieser Belege zu übermitteln. Der Gerichtsvollzieher war daher in der Tat verpflichtet, dem Schuldner gegenüber zu dokumentieren, welche Zahlungen er von ihm empfangen und an welche Gläubiger er sie weitergeleitet hat.
(c) Nun ist die GVO kein Gesetz, das für alle gilt, sondern nur eine Dienstvorschrift für den Gerichtsvollzieher. Wenn also der Schuldner eine Erinnerung nach § 766 ZPO einlegt, kann er sich nicht unmittelbar auf die GVO berufen: Diese gilt eben nur für den internen Dienstbetrieb in der Justiz und nicht für Außenstehende. Der Schuldner kann also nicht allein schon aus der GVO Rechte für sich herleiten. Doch bringt § 69 GVO nur zum Ausdruck, was auch im Verhältnis zwischen Gerichtsvollzieher und Schuldner selbstverständlich gilt – so selbstverständlich, daß es nicht mehr eigens geregelt werden muß: Der Gerichtsvollzieher verwaltet Fremdgelder und muß darüber Buch führen. § 69 GVO regelt mit anderen Worten nur im Detail für den Gerichtsvollzieher, was dem Grunde nach im Verhältnis zwischen ihm und dem Schuldner ohnehin schon gilt. Auch in diesem Punkt hätte das Gericht daher der Erinnerung des Schuldners stattgeben müssen.
Warum handelt es sich um ein krasses Fehlurteil? Die Entscheidung ist in beiden soeben dargelegten Punkten nicht nur fehlerhaft, sondern sogar eklatant fehlerhaft:
(1) Wenn Gerichtsvollzieher und Schuldner sich darüber im klaren sind, daß zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch kein vollständiges Vermögensverzeichnis vorgelegt werden kann, und der Gerichtsvollzieher dennoch dem Schuldner die Erklärung abnimmt, das vorgelegte Verzeichnis sei richtig und vollständig, so ist diese Erklärung so eindeutig ohne Sinn, daß das Gericht diese Vorgehensweise des Gerichtsvollziehers nicht akzeptieren darf.
(2) Daß der Gerichtsvollzieher in der Lage sein muß, über Zahlungen des Schuldners und über deren Verwendung Auskunft zu geben, müßte selbst dann als bare Selbstverständlichkeit angesehen werden, wenn es nicht schon ausdrücklich in den Dienstvorschriften für Gerichtsvollzieher stünde. Bei Banken, Rechtsanwälten und bei allen sonstigen Personen, die fremdes Geld verwalten, ist das absoluter Standard. Dann darf auch für den Gerichtsvollzieher nichts anderes gelten.
Wie ging es weiter? Der Schuldner, der die Erinnerung zunächst noch selbst eingelegt hatte, nahm sich einen Anwalt. Dieser erhob namens des Schuldners sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung des Amtsgerichts Achern. Zuständig für die Entscheidung über die Beschwerde war das Landgericht Baden-Baden. Was dann folgte, läßt ebenfalls in mehrfacher Hinsicht aufhorchen. Zunächst legte der Gerichtsvollzieher vollständige Kontoauszüge vor, die dem Landgericht von einem Justizbeamten mit dem Vermerk weitergeleitet wurden: „Die Möglichkeit des Ausdrucks war dem Gerichtsvollzieher zuvor nicht bekannt.“ Dieser Vermerk erweckt den Eindruck, als sei der Gerichtsvollzieher mit Hilfe seines Datenverarbeitungsprogramms sehr wohl in der Lage gewesen, die vom Schuldner erbetenen Buchauszüge zu erstellen, habe aber mit diesem Programm nicht recht umzugehen gewußt. Der Schuldner erhielt seine Beschwerde in beiden Punkten aufrecht. Das Landgericht wies die Beschwerde zurück: Die begehrten Kontoauszüge lägen mittlerweile vor, so daß sich die Beschwerde insoweit erledigt habe; im übrigen wisse die ZPO nichts von einer Pflicht des Gerichtsvollziehers zur ordnungsgemäßen Rechnungslegung. Das heißt: Wäre es noch darauf angekommen, hätte das Landgericht allen Ernstes eine Pflicht des Gerichtsvollziehers zur Buchführung verneint – was, wie gezeigt, rechtlich nicht haltbar ist. Zum anderen sei durch die vom Schuldner unterschriebene Protokollurkunde bewiesen, daß der Schuldner eine eidesstattliche Versicherung abgegeben habe. Hier hat auch das Landgericht verkannt, daß diese eidesstattliche Versicherung selbst auf dem Boden des gerichtlich festgestellten Sachverhalts keinen rechtlich beachtlichen Inhalt haben konnte. Die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Baden-Baden ist daher ihrerseits ebenfalls eine krasse Fehlentscheidung.
ENTSCHEIDUNG DES AG ACHERN IM ORIGINAL
[1] So aber das Landgericht Baden-Baden in seiner Beschwerdeentscheidung vom 18. 12. 2009 – 3 T 17/09; dazu auch noch unter „Wie ging es weiter?“.